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Alexander Dobrindt: Es gibt kein spezifisches deutsches Coronavirus, das sich hier anders auswirkt als im Rest von Europa

Redebeitrag zur Regierungserklärung der Bundeskanzlerin

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn man sich in Europa umschaut, wenn man unsere Nachbarländer anschaut, dann stellt man fest, dass Deutschland umgeben ist von Coronahochrisikoländern. Frankreich, Österreich, Polen, Tschechien, die Niederlande – alle sind auf der europäischen Coronakarte tiefrot – tiefrot!

(Norbert Kleinwächter [AfD]: Sie sind auch tiefrot!)

Ein Teil dieser Länder bittet uns inzwischen, Patienten in unsere Krankenhäuser aufzunehmen,

(Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Nicht „inzwischen“! – Zuruf: Weil Platz ist!)

weil sie sich selber nicht mehr in der Lage fühlen, diese zu behandeln. Da muss ich mich schon fragen: Welche Theorie lässt einen eigentlich glauben, dass wir bei Nichthandeln der deutschen Politik eine andere Entwicklung nehmen würden,

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So ist das!)

als unsere Nachbarländer in Europa sie zurzeit nehmen?

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Da sei Ihnen gesagt, Herr Kollege Münzenmaier: Es gibt kein spezifisches deutsches Coronavirus, das sich hier anders auswirkt als im Rest von Europa.

(Sebastian Münzenmaier [AfD]: Wer behauptet das denn? Das habe ich gar nicht behauptet!)

Es gibt nicht das deutsche Coronavirus, an das Sie vielleicht glauben. Ich kann Ihnen eines sagen: Wenn Sie über Freiheit, über Rechtsstaat und Demokratie reden wollen, beginnt das als Allererstes beim Schutz der eigenen Bevölkerung und nicht beim Leugnen einer Gefahr.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Sebastian Münzenmaier [AfD]: Genau das habe ich angesprochen!)

Welche Theorie lässt Sie eigentlich glauben, dass wir nicht in die gleiche Situation kommen wie unsere Nachbarländer? Wer, glauben Sie, wenn alle um uns herum betroffen sind, wäre denn dann noch in der Lage, die Patienten aus Deutschland aufzunehmen, wenn wir unser Gesundheitssystem an den Rand der Möglichkeiten gebracht haben? Wir stehen selber und alleine in der Verantwortung. Natürlich darf man die Frage stellen, ob das, was politisch beschlossen wird, verhältnismäßig ist. Ja, selbstverständlich.

Es wurde hier zitiert, dass es auch gestern Stimmen gegeben hat, die die Verhältnismäßigkeit infrage gestellt haben; auch Wissenschaftler tun das. Gestern habe ich an vielen Stellen den Virologen Jonas Schmidt-Chanasit gesehen, der ja zu den Kritikern gehört. Er hat aber gestern in den „Tagesthemen“ formuliert, dass sich alle Wissenschaftler einig wären, dass es jetzt darum geht, die Kontakte zu reduzieren. Ja, genau darum geht es: die Kontakte zu reduzieren.

Wenn wir die Wirtschaft weiterlaufen lassen wollen – was wir tun –, wenn wir auch die Schule weiterlaufen lassen wollen – was wir tun –, wenn wir den Betrieb in den Kitas aufrechterhalten wollen, frage ich Sie: Wo soll man denn Kontakte sonst reduzieren, wenn nicht im Bereich der Freizeit, meine Damen und Herren? Da muss es dann sein.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen unterstützen wir die Maßnahmen der Bundesregierung. Wir halten diese Maßnahmen für angemessen.

Jetzt gibt es aber Stimmen, die sagen: Die Betten in den Krankenhäusern sind noch leer, die Intensivbetten sind noch nicht alle belegt. – Auch gestern gab es wieder welche, die gesagt haben: Lasst uns doch erst mal abwarten, bis die Intensivbetten auch wirklich alle belegt sind.

(Dr. Jürgen Martens [FDP]: Wer macht denn so was? – Karsten Hilse [AfD]: So ein Blödsinn!)

Sehr geehrte Damen und Herren, man kann den Bruchtest des Gesundheitssystems in Deutschland natürlich erproben wollen. Aber politisch verantwortliches Handeln ist das nicht. Das jetzige Handeln ist nicht ohne Risiko, aber Nichthandeln führt zur sicheren Realisierung des maximalen Risikos, und das bedeutet Tod, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU – Karsten Hilse [AfD]: Können Sie nur noch Angst machen? Mann! – Tino Chrupalla [AfD]: Panik – das ist alles!)

– Ja, davon verstehen Sie ja was.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Petr Bystron [AfD]: Rhetorisch geschickt, aber es ändert nichts an der Tatsache, dass Sie jetzt Angst machen!)

Es wird die Frage gestellt: Ist die Politik in Schweden nicht besser als die in Deutschland? Sie ist auf jeden Fall anders; das stimmt. Was passiert in Schweden? Für die Politik, die in Schweden gemacht wird, zahlt vor allem eine Generation den Preis, nämlich die ältere Generation;

(Petr Bystron [AfD]: Ja, und bei uns alle!)

die Vergleiche sagen das eindeutig. Wenn man München und Stockholm miteinander vergleicht, zeigt sich: Es gibt pro 100 000 Einwohner 16-mal so viele Todesfälle in Stockholm wie in München. Wir wollen diesen Preis nicht zahlen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Es gibt Enttäuschungen – Frau Bundeskanzlerin, Sie haben es angesprochen –, es gibt Frustration, es gibt auch Aggression – wir spüren das alle –; denn die Eingriffe sind – das muss man auch so benennen – natürlich hart. Sie belasten Menschen emotional. Die Briefe, die E-Mails, die Anrufe zeigen, dass es natürlich eine emotionale Belastung in unserer Bevölkerung durch diese Maßnahmen gibt. Sie belasten das normale und gewohnte Leben. Aber das Schutzgut, das diesen Belastungen gegenübersteht, ist die Gesundheit und das Leben vieler Menschen in Deutschland. Dieses Schutzgut rechtfertigt diese Maßnahmen. Sie sind verhältnismäßig, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Die FDP hat viele Betroffene aufgefordert, Klage zu erheben.

(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ja! Irre!)

Jetzt ist so eine Klage gegen Entscheidungen der Politik

(Stephan Thomae [FDP]: Ein Justizgrundrecht! – Gegenruf des Abg. Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Er kennt die Verordnung noch nicht einmal! Das sind die Juristen!)

durchaus etwas, was vollkommen in Ordnung ist. Ich rate Ihnen nur dazu: Vielleicht klagen Sie als Erstes mal in Schleswig-Holstein. Da sind Sie mit in der Verantwortung. Vielleicht klagen Sie als Erstes mal in Nordrhein-Westfalen. Da stehen Sie mit in der Verantwortung. Vielleicht klagen Sie jetzt erst mal gegen sich selber.

(Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Toll! Das ist rhetorisch ein Traum!)

Auf jeden Fall hat einer aus Ihren eigenen Reihen die Klage gegen Ihre Politik gestern, auch aus meiner Sicht nachvollziehbar, erhoben. Der Oberbürgermeister der Stadt Landshut, FDP, Alexander Putz, ist gestern aus der FDP ausgetreten. Grund: die Kritik der FDP an der Coronapolitik der Bundesregierung.

(Ulli Nissen [SPD]: Hört! Hört!)

Er hat gesagt, diese stehe seinem notwendigen Handeln als Oberbürgermeister diametral entgegen und spalte die Gesellschaft in Deutschland.

(Stephan Thomae [FDP]: Eine Fehleinschätzung!)

Nehmen Sie sich den mal als Vorbild!

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Soll ich Ihnen mal sagen, wer alles aus der CSU ausgetreten ist? – Christian Lindner [FDP]: Der FDP-Oberbürgermeister in Jena hat jedenfalls als Erster Maskenpflicht angeordnet!)

Meine Damen und Herren, es gibt drei große Themen, die wir jetzt bewältigen müssen: Die Kontaktbeschränkungen, so schmerzhaft sie sind, wollen wir gemeinsam als Regierungskoalition vertreten.

Die Entwicklung des Impfstoffes: Ich bin Bundesminister Jens Spahn sehr dankbar, dass er die Impfallianz in Europa ins Leben gerufen hat, die die Entwicklung des Impfstoffes vorantreibt, mit Milliardenbeträgen unterstützt und auch die Verteilung eines möglichen Impfstoffs sichert.

Aber es geht auch um eine dritte Säule, um die Säule der Therapeutika. Es geht darum, dass wir auch Medikamente gegen das Coronavirus entwickeln, wenn wir es nicht mit einem Impfstoff stoppen können. Da wäre die dringende Bitte, dass wir an dieser dritten Säule insgesamt intensiver, schneller und dynamischer forschen, mehr Geld jetzt in die Hand nehmen, um auch, falls es keinen Impfstoff zur rechten Zeit und vielleicht auch keinen in der richtigen Dosierung gibt, die notwendigen Mittel zu haben, um das Leiden derer, die vom Coronavirus betroffen sind, etwas zu lindern,

(Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Sie kriegen schon Ihre Dosis, keine Sorge!)

die Überlebenschancen deutlich zu erhöhen. Auch das ist eine Aufgabe. Dafür wollen wir die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung stellen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Ab ins Körbchen! – Christian Lindner [FDP]: War besser als Brinkhaus! Haben wir gelobt! Nicht so plump! – Gegenruf des Abg. Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Da ist aber jemand dünnhäutig geworden!)