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Dr. Volker Ullrich: "Eine Kapitulation vor der Pandemie kann niemals unsere Haltung sein"

Alternative Maßnahmen zur Lockdown-Politik

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir debattieren seit einer Stunde einen Antrag der AfD zur Lockdown-Politik. Es ist sehr viel Zutreffendes über den fehlenden intellektuellen Anspruch gesagt worden, mit einer Fünf-Zeilen-Begründung zu versuchen, die Pandemie zu erfassen.

(Stephan Brandner [AfD]: Das haben Sie nicht verstanden!)

Aber ein Satz hat mich erbost, nämlich jener – ich zitiere –, dass wir „mit dem … Virus leben müssen“. Das ist nicht die Haltung, die wir jetzt an den Tag legen sollten,

(Thomas Seitz [AfD]: Das ist die Realität!)

sondern entscheidend ist, dass wir das Virus bekämpfen, dass wir die Menschen schützen, dass wir denjenigen zur Seite stehen, die tagtäglich in den Krankenhäusern für die Menschen kämpfen, und dass wir dafür Sorge tragen, dass wir mit Impfen, mit Testen und weiteren Maßnahmen die Pandemie bekämpfen. Eine Kapitulation vor der Pandemie kann niemals unsere Haltung sein.

(Beifall der Abg. Karin Maag [CDU/CSU])

Ein zweiter Punkt. Sie schreiben, dass die Entscheidungen über Maßnahmen durch die Exekutive angeordnet werden, und nehmen das als Kritikpunkt. Da muss ich Ihnen deutlich zurufen, dass unser Gemeinwesen nun mal so funktioniert. Der Bundestag stellt den gesetzlichen Rahmen auf. Dieser Pflicht sind wir nachgekommen mit dem Infektionsschutzgesetz, und dieser Pflicht werden wir auch weiter nachkommen durch die Fortschreibung des Infektionsschutzgesetzes, worüber wir uns intensiv unterhalten. Aber es ist Aufgabe der Exekutive, die entsprechenden Maßnahmen im Rahmen der Parlamentsgesetze zu erlassen. Das ist das notwendige Zusammenspiel zwischen Regierung und Parlament. Das sollten wir auch nicht durch diese Krise aus den Angeln heben.

Was mich, Herr Kollege Brandner, wirklich erstaunt hat, ist, dass Sie hier diese Allegorien des Mittelalters verwenden.

(Stephan Brandner [AfD]: Die waren gut, oder?)

Ich will Ihre Worte gar nicht wiederholen, weil sie, wie ich finde, unparlamentarisch waren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Stephan Brandner [AfD]: Das war Geschichte!)

Aber ich sage Ihnen: Beim Mittelalter denke ich spontan an den Begriff „AfD -Aderlass für Deutschland“.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Lachen bei Abgeordneten der AfD)

Aber es zeigt eines einmal mehr, nämlich dass Sie sich mit Ihrem Denken in einer voraufklärerischen Tradition befinden. Das bedeutet Wissenschaftsfeindlichkeit und Demokratiefeindlichkeit. Das wird durch Ihre Rede deutlich zum Ausdruck gebracht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte noch einmal auf die Situation hinweisen, in der wir uns im Augenblick befinden:

(Stephan Brandner [AfD]: Oh ja!)

Über 4 000 Patienten werden derzeit intensivmedizinisch behandelt. Wir haben 30 000 Neuinfektionen in Deutschland, der weit überwiegende Teil verursacht durch die Mutante B.1.1.7, die vielleicht nicht tödlicher ist, aber auf alle Fälle wesentlich ansteckender und die damit die Gefahr in sich trägt, wesentlich mehr Menschen zu infizieren. Am Horizont taucht eine weitere Gefahr auf, nämlich die sogenannte brasilianische Mutante P1 mit einer noch höheren Ansteckungswahrscheinlichkeit. Zudem haben wir im Augenblick eine exponentielle Steigerung des Infektionsgeschehens. Das alles bildet den Rahmen, in dem wir uns befinden.

Dem steht gegenüber, dass täglich zwischen 500 000 und 700 000 Menschen geimpft werden, dass wir es geschafft haben, die Bewohner der Alten- und Pflegeheime weitgehend zu schützen, und dass 15 000 Teststationen bereitstehen, um den Bürgerinnen und Bürgern kostenlose Schnelltests anzubieten.

Aber klar ist auch, dass trotz Impfen und Testen im Augenblick die Steigerung der Fallzahlen allein durch diese Maßnahmen nicht begrenzt werden kann. Man kann in der jetzigen Situation – übrigens in keinem Land der Welt, auch nicht in den Vereinigten Staaten – den exponentiellen Anstieg nicht allein durch Impfen und Testen bremsen. Deswegen brauchen wir für eine vorübergehende Zeit eine Mischung von weiteren Maßnahmen. Wir müssen impfen und testen, brauchen gleichzeitig aber auch Lockdownmaßnahmen, die verhältnismäßig sind, die Kontaktbeschränkungen beinhalten, um damit die Welle zu brechen, um nach der Welle mit niedrigeren Inzidenzzahlen durch Impfen und Testen die Pandemie tatsächlich zu bekämpfen.

(Beifall der Abg. Karin Maag [CDU/CSU])

Das ist unser Ansatz, und der ist wissenschaftlich begründet. Ich glaube, dass die Menschen in diesem Land diesem Ansatz trotz mancher Debatte über Details auf alle Fälle vertrauen können. In diesem Sinne: Lassen Sie uns anständig an diesem Kurs weiterarbeiten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Heike Baehrens [SPD])