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Dr. Volker Ullrich: Es ist notwendig, dass wir Souveränität auf europäischer Ebene teilen

Rede zur Souveränität Deutschlands

Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Weyel, Sie haben die Rechtssetzung auf europäischer Ebene gar nicht richtig dargestellt; ich nehme an, Sie kennen sie nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Axel Schäfer [Bochum] [SPD] – Zuruf von der AfD: Wir kennen sie sehr gut!)

Man muss zunächst einmal deutlich machen, dass mit dem Vertrag von Lissabon in den meisten Politikfeldern die sogenannte qualifizierte Mehrheit ohnehin bereits geltendes Recht ist.

(Zuruf von der AfD: Schlimm genug! – Weiterer Zuruf von der AfD: Pseudoverfassung!)

Nur für wenige Politikbereiche hat der Vertrag von Lissabon ein Einstimmigkeitserfordernis vorgesehen. Wir leben aber jetzt gerade in einer Zeit, bei der wir wissen und spüren, dass sie sich verändert und dass wir Weltpolitikfähigkeit der Europäischen Union brauchen.

(Zuruf von der AfD: Brexit!)

Wir brauchen eine Politik, bei der die Europäische Union mit einer Stimme spricht, damit wir auf Augenhöhe agieren können bei den großen Herausforderungen, im Hinblick auf China beispielsweise, aber auch in der Frage, wie wir mit den Herausforderungen in Afrika umgehen, wie wir uns den Herausforderungen im Nahen Osten stellen, und bei vielen anderen Dingen auch – von Russland, Ihren Freunden, ganz zu schweigen. Der entscheidende Punkt ist aber, dass der Vertrag von Lissabon nun vorsieht, dass mit einem Beschluss im Rat zukünftig für wichtige Politikfelder eine Mehrheitsentscheidung eingeführt werden kann, und zwar einstimmig, wenn der Bundestag zustimmt. Das haben Sie verschwiegen, und das ist nach dem Integrationsverantwortungsgesetz der entscheidende Punkt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Genau! Darum geht es!)

Ich glaube, es ist auch notwendig, dass wir Souveränität auf europäischer Ebene teilen. Denn die Europäische Union stellt keine Gefahr für die deutsche Souveränität dar,

(Zuruf von der AfD: Doch! – Lachen bei Abgeordneten der AfD)

sondern die Europäische Union sorgt dafür, dass wir überhaupt noch Souveränität ausüben können, weil wir in vielen Bereichen nur gemeinsam handeln können.

(Norbert Kleinwächter [AfD]: Was ist denn das für eine Theorie, Herr Dr. Ullrich? Wir sind die viertstärkste Wirtschaftsmacht der Welt!)

Sicherheit, Klimaschutz, äußere Sicherheit, Außengrenzenschutz, das sind Fragen, bei denen die Europäische Union nur gemeinsam handeln kann.

(Beifall der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wenn Sie hier allein auf die Souveränität Deutschlands abstellen, dann schwächen Sie unser Land.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Und Sie wollen unser Land schwächen, weil Sie die deutsche Brexitpartei sind. Sie gratulieren Johnson, weil Sie aus der Europäischen Union austreten wollen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Herr Dr. Ullrich, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung von der AfD?

(Konstantin Kuhle [FDP]: Nimm ihn!)

 

Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU):

Ja.

 

Norbert Kleinwächter (AfD):

Herr Dr. Ullrich, sehr verehrter Kollege, Sie haben gerade geäußert, wir seien eine Brexitpartei.

(Zuruf von der FDP: Stimmt doch!)

Das darf ich an dieser Stelle zurückweisen. Wir sind für eine Reform der Europäischen Union, die genau dahin zielt, dass wir eine europäische Zusammenarbeit unter Beachtung der nationalen Souveränität bekommen.

(Markus Töns [SPD]: Sie wollen die Europäische Union zerstören! Das ist Ihr Ziel, und das ist eine Schande für Deutschland!)

Wenn Sie hier behaupten, dass Deutschland nur in einer Europäischen Union souverän sein könne, dann muss ich Sie wirklich fragen, wo Sie diese Art der Argumentation hernehmen.

(Markus Töns [SPD]: Das ist so! Das ist keine Behauptung! Das ist so!)

Wir sind die viertstärkste Wirtschaftskraft der Welt.

(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil wir in Europa sind! – Markus Töns [SPD]: Weil wir in Europa sind! Blödsinn!)

Glauben Sie nicht, dass ein bisschen mehr Selbstbewusstsein, ein bisschen mehr Bekenntnis zur eigenen Souveränität unserem Land guttäte? Es befindet sich nämlich auf einem Weg der Rezession, auf einem Weg des Verlusts der Innovations- und Forschungskraft, weil immer alles auf Brüssel verlagert wird, weil immer alles wegverlagert wird und weil auch noch Ihre Regierung es anstrebt, dass wir ja keine souveränen Entscheidungen mehr treffen können, sondern alles nur noch im europäischen Kontext geht. Warum behaupten Sie hier frank und frei, dass Deutschlands Souveränität nicht vorhanden sei,

(Markus Töns [SPD]: Blödsinn!)

sondern nur durch Brüssel realisiert werden könne, obwohl Sie genau – besser – wissen, dass das nicht stimmt?

(Beifall bei Abgeordneten der AfD – Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zuhören! Hat kein Mensch gesagt! – Markus Töns [SPD]: So ein Blödsinn!)

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Herr Ullrich, bitte.

 

Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU):

Herr Kollege Kleinwächter, es hat mich in keiner Weise erstaunt, dass Sie mit Ihrer Argumentation irgendwo Ende der 50er-Jahre stehen geblieben sind.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass durch die europäische Währungsunion, durch den Binnenmarkt, vorher durch die Zollunion, durch die Einheitliche Europäische Akte und durch das europäische Zusammenwachsen wir überhaupt diesen Wohlstand erreichen konnten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Unseren Wohlstand haben wir auch Europa zu verdanken.

(Zuruf von der AfD: Sie glauben das wirklich!)

Sie stellen das alles in Abrede. Warum? Weil Sie Europa hassen und damit auch unser eigenes Land hassen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Götz Frömming [AfD]: Wir lieben Europa mehr, als Sie glauben!)

Das ist der entscheidende Punkt bei Ihrer Argumentation.

Wie ernst Sie die Debatte um die Frage der europäischen Rechtssetzung nehmen, zeigt ein Zitat, das Sie, Herr Kollege Weyel, eben gebraucht haben. Sie sprachen von einem albanischen Hütchenspiel.

(Florian Hahn [CDU/CSU]: Pfui! – Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Pfui! Rassismus pur!)

Ich muss mal ganz deutlich sagen: Erstens hat dieser Deutsche Bundestag mit großer Mehrheit beschlossen, Albanien aufzunehmen. Zweitens ist Verfassungsrecht keine Frage von Hütchenspielen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)

Aber dass Sie das mit Albanien in Verbindung bringen, zeigt, dass Sie letzten Endes einen völkischen und rassistischen Charakter bei Ihrer Argumentation haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der AfD)

Hinzu kommt Ihre Argumentation, dass Sie von der „Urbevölkerung“ sprechen. Das ist im Prinzip die Erzählung von Populisten: dass es hier eine Bevölkerung gibt und es dagegen Eliten gibt, die diese Bevölkerung ausbeuten wollen. Das ist nichts anderes als eine rassistische, ideologische Argumentation.

(Marianne Schieder [SPD]: Genau!)

Dem stellen wir uns entgegen. Damit sagen wir auch: Das ist die Argumentation, die Großbritannien auch ein Stück weit Richtung Brexit gebracht hat.

(Zuruf des Abg. Fabian Jacobi [AfD])

Das wollen wir für unser Land verhindern, weil wir wissen, dass wir Europa brauchen, Europa aber Sie nicht braucht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das würde ich heute nicht sagen, Herr Ullrich! Die Briten haben entschieden, demokratisch, und klar gewählt!)

– Wir respektieren das Votum der Briten, Herr Kollege Gauland.

(Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das ist heute nicht der Tag, die Briten zu kritisieren!)

Aber wir können sagen, dass der Brexit falsch ist und dass er nichts Gutes für Europa tut und dass Sie die Partei sind, die am liebsten auch für Deutschland einen Brexit herbeiführen würde. Deswegen dürfen Sie keine Verantwortung für Deutschland und Europa übernehmen.

(Zuruf von der AfD: Das entscheiden nicht Sie, zum Glück!)

Das zeigt dieser Antrag, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)