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Gitta Connemann: Unser Bundesarchiv ist unser nationales Gedächtnis

Redebeitrag zum Bundesarchivgesetz und der Einsetzung einer oder eines SED-Opferbeauftragten

Frau Präsidentin! Was macht Deutschland aus? Seine Sprache? Seine Kultur? Seine Traditionen? Alles. All dies ist das Ergebnis einer Entwicklung der Geschichte – unserer Geschichte. Deshalb ist es notwendig, sie zu kennen. Aus diesem Grund haben wir in Deutschland unser Bundesarchiv, unser nationales Gedächtnis. In diesem lagern die Akten der Weimarer Republik, des Dritten Reichs und der Bundesrepublik Deutschland – bislang. Zwischen diesen Aktendeckeln liegt die Geschichte unseres Landes und seiner Menschen. Deshalb müssen wir die Unterlagen der Staatssicherheit dauerhaft in das Bundesarchiv eingliedern; denn es ist unser einzigartiges Erbe.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Linda Teuteberg [FDP])

Meine Damen und Herren, 2020 wird als Coronajahr in die Geschichte eingehen. Aber 2020 ist auch das Jahr, in dem wir 30 Jahre deutsche Einheit feiern durften. Aus zwei wurde damals eins – nach vier Jahrzehnten bitterer Teilung, nach Jahrzehnten SED-Unrechtsstaat, nach Jahrzehnten Terror und Bespitzelung.

Es ist die Geschichte von Tätern, Mitläufern und Opfern – penibel festgehalten von der Stasi. Der Umfang der Spitzelakten beläuft sich auf 111 Kilometer. 111 000 Meter Geschichten über Folter, Verrat, gebrochene Biografien, Angst, Verzweiflung und Unfreiheit. Diese Akten wurden vor der Vernichtung gerettet – übrigens von Bürgerinnen und Bürgern, von mutigen Bürgerinnen und Bürgern in den Tagen der Friedlichen Revolution. Sie haben diese Akten damals für uns alle erstritten, und deshalb sind sie ein Eigentum von uns allen und gehören auch in besonderer Weise behandelt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Heute stellen wir die Weichen für die dauerhafte Sicherung dieser Stasiakten. Sie werden in das Bundesarchiv überführt. Wenn die AfD dies als Beerdigung bezeichnet, kann dies eigentlich nur drei Gründe haben: Ignoranz, Unwissenheit oder Dummheit.

(Tino Sorge [CDU/CSU]: Oder alle drei zugleich!)

Die Stasiunterlagen werden nämlich mit dieser Überführung Teil unseres nationalen Gedächtnisses.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Das waren sie vorher schon!)

Wir ziehen eben keinen Schlussstrich, so wie es die AfD an vielen Stellen so gerne möchte.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Wo denn?)

Denn wir wissen: Wir brauchen diese Archive, weil sie Antworten ermöglichen, jetzt und in Zukunft. Wir brauchen diese Archive, weil die Aufarbeitung von Unrecht kein Verfallsdatum haben darf. Geschichte kennt keine Schlussstriche. Das gilt für den Terror des Nationalsozialismus ebenso wie für die SED-Diktatur.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wieso brauchen wir diese Archive? Und ich spreche von Archiven; denn das Stasi-Unterlagen-Archiv bleibt eigenständig im Bundesarchiv. Vielleicht sollte man auch dies zur Kenntnis nehmen. Wir brauchen sie, weil der forschende Blick in die Unfreiheit unseren Blick für Freiheit und Demokratie schärft. Und genau diese beiden Werte gilt es zu schützen; denn Geschichtsvergessenheit, Verharmlosung oder Schönfärberei sind brandgefährlich.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Katrin Budde [SPD] und Michael Theurer [FDP])

Diese gab es übrigens auch im Westen. 1984 wollte die damalige Opposition die Zentrale Erfassungsstelle der Landesjustizverwaltungen in Salzgitter schließen, jenen Ort, an dem unter anderem Beweise von politischer Verfolgung, Verschleppung und Tötung in der DDR gesammelt und dokumentiert wurden. Am Ende wurde Salzgitter nicht geschlossen. Bundeskanzler Kohl und die Union verhinderten das. So wurden wichtige Dokumente zum Beispiel über die Mauerschützen gesichert, die später in den entsprechenden Prozessen eine Rolle spielten; und den Widerstands- und Freiheitskämpfern in der DDR wurde damit das Signal gegeben: Ihr werdet nicht vergessen!

Meine Damen und Herren, heute stellen wir die Weichen für die dauerhafte Sicherung der Stasiunterlagen. Dies tun wir mit Augenmaß; denn wir schreiben das Stasi-Unterlagen-Gesetz fort. Damit ist der bewährte Zugang zu den Akten weiterhin möglich: für Bürger, Medien und Wissenschaft. Diese Akteneinsicht ist weltweit einmalig. Jeder und jede kann in Deutschland nachlesen, welches Unrecht die Stasi ihm bzw. ihr angetan hat. Hinter jeder Akte stehen Schicksale, in erster Linie das der Opfer, aber in gewisser Weise auch das derer, die zu Tätern wurden. In Zukunft wird die Akteneinsicht auch digital und an den westdeutschen Standorten des Bundesarchivs möglich sein. Das ist ein ganz wichtiger Schritt nach vorn; denn die Staatssicherheit wirkte wie eine Krake in die Bundesrepublik hinein. Das dürfen wir nie vergessen.

Hinter uns liegen Jahre intensiver Debatte, und ich danke dafür im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion den Opferverbänden, unserer Beauftragten für Kultur und Medien Monika Grütters und ihrem Haus, den Landesbeauftragten für die Aufarbeitung der SED-Diktatur, dem Bundesarchiv und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der BStU sowie allen Abgeordneten, die an diesem Gesetzentwurf mitgearbeitet haben. Dieser wird von der Mitte des Hauses getragen, von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der FDP.

Der Dank der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gilt aber heute besonders dem Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit. Lieber Roland Jahn, dieses Gesetz ist vor allem auch dein Verdienst. Durch deinen Einsatz ist das Stasi-Unterlagen-Archiv nicht mehr nur ein Monument des Überwachungsstaates. Es ist eine Errungenschaft der deutschen Einheit geworden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Dir ist es nach 20 Jahren der Auseinandersetzung gelungen, mit den ostdeutschen Ländern eine gemeinsame Lösung für die zukünftige Struktur der regionalen Standorte zu finden.

Aus Archiven werden auch außerschulische Lernorte. Damit wird die Brücke zu jüngeren Generationen geschlagen, und so wird auch ihr Bewusstsein für den Wert von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten gestärkt. Das, lieber Roland, war dir besonders wichtig. Viele Menschen, die unter der SED-Diktatur gelitten haben, hatten Vorbehalte, manchmal auch Angst vor dieser Veränderung. Meine Damen und Herren, Roland Jahn hat persönlich bei den Opfern und ihren Verbänden für Vertrauen in unser Vorgehen geworben. – Dafür danke ich dir aufrichtig.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Katrin Budde [SPD])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, im nächsten Jahr scheidet Roland Jahn aus. Aber er hat mit dafür gesorgt, dass es übrigens zwei neue Ansprechpartner geben wird. Neben der Vizepräsidentin oder dem Vizepräsidenten beim Bundesarchiv ist dies eben auch der oder die Opferbeauftragte. So werden die Opfer der DDR-SED-Diktatur weiterhin auf Bundesebene einen Fürsprecher mit einer besonderen Rechtsstellung haben; denn der Opferbeauftragte wird beim Deutschen Bundestag verankert sein. Als Anwalt wird er das Anliegen der Opfer der kommunistischen Diktatur gegenüber Parlament, Regierung und Bundesbehörden vertreten. Und deshalb war es uns so wichtig, dass es diese starke Stimme der Opfer gibt und diese ein Einsichtsrecht haben und auf die Stasiunterlagen zugreifen können.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Frau Kollegin.

 

Gitta Connemann (CDU/CSU):

Denn diese Dokumentation, was die Opfer erlitten haben, gehört zu unserem historischen Gedächtnis und formuliert einen Auftrag an uns alle: Wir dürfen ein solches Unrecht nie wieder zulassen. Das sind wir den Opfern schuldig.

Vielen Dank.