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Elisabeth Motschmann: "Ja, wir können von diesen Frauen lernen"

Rede zu Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie werden ignoriert, verdrängt und vergessen, die Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Am 20. Juli jährt sich das gescheiterte Attentat auf Adolf Hitler zum 75. Mal. Wir gedenken aus diesem Anlass der Widerstandskämpfer um Claus Graf von Stauffenberg wie zum Beispiel Werner von Haeften, Ludwig Beck, Henning von Tresckow und viele andere. In einer gewissenlosen und menschenverachtenden Diktatur planten sie das Attentat, planten sie eine politische Ordnung nach Hitler. Sie riskierten ihr Leben, sie verloren ihr Leben, und sie sind in die Geschichte eingegangen – völlig zu Recht.

Doch der deutsche Widerstand bestand eben nicht nur aus Männern, deren Namen wir kennen. Er bestand auch aus vielen Frauen. Ihre Namen, ihr Wirken sind weithin unbekannt. Genau das ist ungerecht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Oder sagen Ihnen die Namen Elisabeth Abegg, Helene Jacobs, Louise Schroeder, Liselotte Herrmann oder die Bremerin Anna Stiegler etwas? Vermutlich nicht. Das möchten wir mit unserem Antrag für die Zukunft ändern.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nicht nur die Frauen der Männer des 20. Juli waren aktiv beteiligt, sondern auch Frauen aus dem Widerstandsnetzwerk „Rote Kapelle“, Sozialdemokratinnen, Sozialistinnen und Kommunistinnen. Andere Frauen handelten aus christlicher Überzeugung. Sie gehörten zur Bekennenden Kirche. Wir erwähnen sie in unserem Antrag ganz bewusst stellvertretend für alle; denn wer gegen das menschenverachtende Naziregime Widerstand geleistet hat, der verdient unseren Respekt und große Anerkennung.

(Beifall im ganzen Hause)

Diese Frauen haben konspirative Treffen organisiert, illegale Flugblätter hergestellt und verteilt. Sie waren Mitwisserinnen und verschwiegene Beraterinnen. Sie versteckten gefährdete Personen, unter anderem Jakob Kaiser. Sie fertigten Entwürfe und Reinschriften von Umsturzbefehlen an. Über Jahre hinweg haben sie ihre Männer im Bewusstsein der Gefahren um den Kampf ermutigt. Sie haben den Widerstandskämpfern Halt und Kraft auf dem schweren Weg in den Tod gegeben und dabei ihr eigenes Leben riskiert. Sie mussten ihre Kinder belügen, um sie zu schützen. Bei der lebensnotwendigen Verheimlichung ihres Doppellebens waren sie auf das Äußerste gefordert; denn Mitwisserschaft war schon todeswürdig.

Nicht nur die Männer wurden von der Gestapo verhört, sondern auch viele Frauen. Sie mussten den Eindruck erwecken, als würden sie kooperieren. Sie durften nicht unbedarft wirken, damit sie nicht von der Gestapo als völlig bedeutungslos eingestuft wurden. Sie mussten tröpfchenweise Informationen preisgeben, um das Interesse an ihnen aufrechtzuerhalten. Nur so konnten sie verhindern, als unbrauchbare Informantinnen verhaftet oder hingerichtet zu werden. Diesem Druck haben sie standgehalten. Was für eine Leistung!

(Beifall im ganzen Hause)

Der Preis, den sie zu zahlen hatten, war hoch. Viele Frauen wurden zum Tode verurteilt, manche von Plötzensee direkt in die Charité gebracht und als – es fällt einem schwer, das zu sagen – „medizinischer Werkstoff“ für die Wissenschaft verarbeitet. Andere verloren ihre Ehemänner. Sie kamen in Gefängnisse und Konzentrationslager. Ihre Kinder wurden in Heime gebracht, ihrer Identität beraubt und umerzogen. In der Nachkriegszeit mussten sie sich als Frauen von Volksverrätern beschimpfen lassen. Sie bekamen keinerlei finanzielle Unterstützung, ihre Kinder wurden geächtet und isoliert. Sie mussten tragen, was untragbar war. Diese Frauen waren couragiert und hatten großen Mut. Dafür gebühren ihnen heute unsere Anerkennung und unser Dank.

(Beifall im ganzen Hause)

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Darüber hinaus verdanken wir diesen Frauen zahlreiche Augenzeugenberichte, Briefe und Dokumente, die uns helfen, die Erinnerung lebendig zu halten und aus der Geschichte zu lernen. Ja, wir können von diesen Frauen lernen. Es ist völlig unverständlich, dass sie nach 75 Jahren noch immer ein Schattendasein in der Geschichtsschreibung führen. Sie gehören wirklich zu den vergessenen Heldinnen unserer Geschichte.

Das ist der Sinn unseres Antrags: Wir wollen diese Zeit niemals vergessen. Wir wollen diese dunkelste Geschichte nicht vergessen. Aber zu dieser Erinnerung gehört, dass eben Männer und Frauen im Widerstand gekämpft haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der AfD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)