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Elisabeth Motschmann: Die Anerkennung dieser Schuld muss immer im Mittelpunkt unserer Erinnerungskultur stehen

Rede zur Gedenkstätte für Opfer des Zweiten Weltkrieges

Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der AfD ist der traurige Versuch, das Verbrechen der Deutschen mit dem Unrecht an Deutschen zu vergleichen, aufzurechnen und damit zu relativieren,

(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Reinzuwaschen! – Armin-Paulus Hampel [AfD]: Er hat doch genau das Gegenteil gesagt! Genau das Gegenteil!)

Und genau das wollen und dürfen wir nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Armin-Paulus Hampel [AfD]: Schämen Sie sich! Das hat er nicht gesagt! Er hat das Gegenteil gesagt, Frau Motschmann!)

Das trägt nicht zur Versöhnung bei.

(Armin-Paulus Hampel [AfD]: Schämen Sie sich dafür! – Gegenruf des Abg. Martin Rabanus [SPD]: Überhaupt nicht! Recht hat sie! – Gegenruf des Abg. Armin-Paulus Hampel [AfD]: Er hat genau das Gegenteil gesagt! Sie haben es gerade gehört! – Gegenruf des Abg. Martin Rabanus [SPD]: Das gibt’s doch überhaupt nicht! Das ist eine Unverschämtheit!)

– Ich glaube, wir machen weiter; die Emotionen gehen hoch.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat im Dezember folgenden Satz in Auschwitz gesagt – ich zitiere –:

Ich empfinde tiefe Scham angesichts der barbarischen Verbrechen, die hier von Deutschen verübt wurden – Verbrechen, die die Grenzen alles Fassbaren überschreiten. Vor Entsetzen über das, was Frauen, Männern und Kindern an diesem Ort angetan wurde, muss man eigentlich verstummen.

(Beifall der Abg. Katrin Budde [SPD])

Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen – aber ich mache natürlich weiter.

Der Holocaust hat insgesamt 6 Millionen Juden das Leben gekostet. Sie wurden von Deutschen ermordet. Weltweit sind 60 Millionen Menschen dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer gefallen. Dieser Krieg war ein Angriffs- und Vernichtungskrieg,

(Nicole Höchst [AfD]: Zum Antrag!)

ein vom nationalsozialistischen Deutschland verschuldetes Verbrechen. Die Anerkennung dieser Schuld muss immer im Mittelpunkt unserer Erinnerungskultur stehen. Nur so können wir nämlich das „Nie wieder!“ an die nächste Generation weitergeben.

(Nicole Höchst [AfD]: Zum Antrag!)

Richard von Weizsäcker nutzte im Mai 1985 eine klare Sprache, eine befreiende Sprache für das, was 40 Jahre zuvor geschehen war. Auch ich zitiere ihn:

Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.

Dieser Gedanke von Richard von Weizsäcker wird von der AfD in seiner Intention verdreht und nicht verstanden, und das ist beschämend.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der AfD: Unglaublich!)

Ich erinnere an eine Rede von Björn Höcke 2017 in Dresden. Er sagte damals:

Und diese dämliche Bewältigungspolitik, die lähmt uns heute noch ... Wir brauchen nichts anderes als eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad.

Genau diese Wende wollen wir nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und die AfD folgt mit ihrem Antrag dieser Forderung von Björn Höcke, und das, liebe AfD, ist erbärmlich.

(Marianne Schieder [SPD]: Ja, widerlich! – Armin-Paulus Hampel [AfD]: So ein Quatsch!)

Ja, Deutschland hat die Grausamkeit des Krieges auch selbst erlitten und einen hohen Preis gezahlt.

Vizepräsident Thomas Oppermann:

Frau Motschmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Jongen?

 

Elisabeth Motschmann (CDU/CSU):

Nein, lieber hinterher. – Unsere Städte lagen in Schutt und Asche. Viele Millionen Menschen haben ihr Leben verloren. Die Wirtschaft lag am Boden. 14 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene aus dem Osten Deutschlands haben alles verloren, vor allem ihre Heimat. Niemand bestreitet das. Wir dürfen auch dieses Leid nicht vergessen. Das tun wir auch nicht. Es gibt überall im Land Gedenkstätten und Erinnerungsorte. Fast in jeder Kirche befinden sich Gedenktafeln für die gefallenen Soldaten.

(Marianne Schieder [SPD]: In jedem Dorf!)

– In jedem Dorf. – Wir haben Soldatenfriedhöfe in ganz Europa. Gedenksteine für die Toten der Weltkriege befinden sich auf vielen Marktplätzen.

Auch die Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung hat die Aufgabe, die Erinnerung an alle Opfer des Nationalsozialismus aufrechtzuerhalten. Mit dem Bundesprogramm „Jugend erinnert“ wollen wir die Bildungsarbeit zur Aufarbeitung aller Facetten des Nationalsozialismus stärken. Priorität müssen aber immer die authentischen Orte des NS-Terrors an Juden, Sinti und Roma, Behinderten und vielen anderen Opfergruppen haben.

Ganz besonders wichtig ist die Zeitzeugenarbeit. Die meisten Zeitzeugen leben leider nicht mehr, aber ihre bewegenden Zeugnisse sind in Büchern und in digitaler Form dokumentiert und damit erhalten. Dafür können wir dankbar sein.

Die Würdigung aller Opfer des Nationalsozialismus ist durchaus gewährleistet. Deshalb lehnen wir die Forderung der AfD nach einer zusätzlichen Gedenkstätte nur für die deutschen Opfer ab. Das wäre das völlig falsche Signal.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Es darf keine Relativierung, keine Verharmlosung der deutschen Verantwortung und Schuld für den grausamen Zweiten Weltkrieg geben.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)

Ein Mitglied der AfD hat das Denkmal der ermordeten Juden als „Denkmal der Schande“ bezeichnet. Vor diesem Hintergrund hat die AfD jede Berechtigung verloren, ein anderes Denkmal zu fordern.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Bernd Baumann [AfD]: So ein Blödsinn!)