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Christoph Bernstiel: Wir werten das Amt des Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen auf zum Opferbeauftragten

Redebeitrag zum Bundesarchivgesetz und der Einsetzung einer oder eines SED-Opferbeauftragten

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Am Ende dieser Debatte kann man eigentlich nur noch zusammenfassen, dass bereits viel Wichtiges und viel Richtiges gesagt wurde. Diese drei Gesetze, die wir heute ändern bzw. auf den Weg bringen werden, sind gute Gesetze. Es wurde auch schon gesagt, dass es mitnichten so ist, dass wir jetzt einen Schlussstrich ziehen. Ganz im Gegenteil: Wir werten das Amt des Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen sogar auf zum Opferbeauftragten. Wir machen damit das, was eigentlich folgerichtig ist. Das, was Roland Jahn schon längst getan hat und in den Augen vieler Opferverbände auch weiterhin tun sollte, setzen wir jetzt mit der neuen Position des Opferbeauftragten um.

Dank wurde auch schon viel ausgesprochen, natürlich auch an Roland Jahn gerichtet. Es wurde auch den Parteien in der Mitte dieses Parlaments gedankt, die diese Gesetze heute mittragen. Noch nicht ausdrücklich gedankt wurde – das möchte ich gerne nachholen – Monika Grütters und ihrem Team; denn wir hatten eine außerordentlich gute Zusammenarbeit mit der Bundesregierung. An dieser Stelle dafür ein herzliches Dankeschön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

An der Stelle möchte ich auch vielen Menschen, die diese Debatte vielleicht verfolgen, ein paar Sorgen nehmen. Es wurde schon gesagt: Es wird kein Schlussstrich gezogen. Und es wird in Zukunft auch nicht schwieriger, es wird einfacher sein, die jeweilige Stasiakte einzusehen, nämlich an mehreren Standorten – meine Kollegin hat es bereits gesagt – und auch digital. Insofern kommt es durch dieses Gesetz zu Verbesserungen.

Wir haben außerdem in dieses Gesetz die jeweiligen Archivstandorte in den einzelnen Bundesländern hineingeschrieben, die sogar noch aufgewertet werden, indem sie künftig in die Gedenkstättenkonzeption eingebunden werden. Ich freue mich natürlich sehr, dass in meinem Wahlkreis Halle an der Saale zukünftig auch eine Außenstelle sein wird.

Wo Licht ist, da ist bekanntlich auch Schatten. Ich möchte meine verbliebene Redezeit dazu nutzen, zwei Punkte anzusprechen, die mir nach wie vor etwas Sorge bereiten. Ein Punkt sind die ungefähr 111 Kilometer zerrissene Akten, die die Staatssicherheit zurückgelassen hat; zerrissene Akten, nicht zerstörte Akten. Das bedeutet, wir sind in der Lage, diese Akten zu rekonstruieren. Von 16 000 Säcken, die im Wahlkreis meines Kollegen Tino Sorge in Magdeburg lagern, haben wir erst 520 Säcke rekonstruiert. Es ist uns auch 30 Jahre nach der Friedlichen Revolution nicht gelungen, diesen wichtigen Teil der DDR-Geschichte zu rekonstruieren. Ungefähr 40 bis 55 Millionen Seiten – niemand weiß das so genau – warten darauf, erschlossen zu werden. Deshalb haben wir diesen Punkt mit in dieses Gesetz hineingeschrieben, weil wir eben keinen Schlussstrich ziehen wollen, weil wir zeigen wollen, dass wir dieses Erbe nach wie vor sehr ernst nehmen und auch herausfinden wollen, welche Untaten, auch gegenüber der SPD, sich in diesen Akten noch verstecken. Und deshalb ist es richtig, dass wir das auch im Gesetz formuliert haben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Und dann gibt es wirklich eine Kröte in diesem Gesetzentwurf. Ich möchte einmal aus ihm zitieren, es heißt darin:

Die oder der Opferbeauftragte hat die Aufgabe: … zur Würdigung der Opfer des Kommunismus in Deutschland beitragen …

Meine Damen und Herren, wer mich kennt und wer die Arbeit der Union kennt, der weiß, dass wir uns gewünscht hätten, dass dort steht: den Opfern des Sozialismus. Das wäre korrekt gewesen. Das wäre historisch korrekt gewesen, das wäre auch politikwissenschaftlich korrekt gewesen. Aber leider ist es so, dass manch einer in diesem Haus der Idee des Sozialismus nach wie vor etwas Gutes abgewinnen kann. So heißt es zum Beispiel in einem Tweet der SPD-Parteivorsitzenden am 18. Januar 2018 – ich zitiere, mit Erlaubnis der Präsidentin –:

Wer Sozialismus negativ verwendet, hat halt einfach keine Ahnung.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, Sie entlarven sich selbst. Im Namen des Sozialismus wurden mehrere Millionen Menschen weltweit ermordet.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Im Namen des Christentums nicht? Inquisition! – Weitere Zurufe von der LINKEN)

Es gab über mehrere Jahrzehnte auf verschiedenen Kontinenten dieser Erde das Experiment des Sozialismus. Dieses hat immer zu Unterdrückung, Hunger, Umweltverschmutzung und Tyrannei geführt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist unglaublich, was Sie da erzählen!)

Lassen Sie es mich in aller Deutlichkeit sagen – hören Sie zu –: Es gibt keinen guten Sozialismus.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD und der FDP)

Und wer in Anbetracht dieser erdrückenden Faktenlage über mehrere Jahrzehnte hinweg immer noch nicht anerkennen will, dass der Sozialismus nicht gut ist, der hat nur nicht keine Ahnung, der ist sogar gefährlich ignorant.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD und der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Jetzt hat das Niveau die Zimmertemperatur unterschritten!)

In der Mitte des Parlaments fühlen wir uns verantwortlich, dafür zu sorgen, dass so etwas wie ein sozialistisches Experiment nie wieder auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland stattfindet. Dafür müssen wir das historische Erbe dieser SED-Diktatur sichern. Wir müssen die zerrissenen Akten rekonstruieren, und wir müssen den Opfern der SED-Diktatur endlich die Genugtuung verschaffen, die sie verdienen. All das machen wir mit dem heute zu verabschiedenden Gesetzentwurf.

Ich bitte um Zustimmung und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)