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Ansgar Heveling: "Unser Bewusstsein im Umgang mit unserer kolonialen Vergangenheit verändert sich"

Zur kulturpolitischen Aufarbeitung unseres kolonialen Erbes

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Irgendwann zwischen etwa 1500 und 1920 geriet die Mehrzahl der Räume und Völker der Erde unter die zumindest nominelle Kontrolle von Europäern: ganz Amerika, ganz Afrika, nahezu das gesamte Ozeanien und – berücksichtigt man auch die russische Kolonisation Sibiriens – der größere Teil des asiatischen Kontinents. Die koloniale Wirklichkeit war … vielgestaltig, widerspenstig gegenüber anmaßenden imperialen Strategien, geprägt von den lokalen Besonderheiten der Verhältnisse …, von den Absichten und Möglichkeiten der einzelnen Kolonialmächte, von großen Tendenzen im internationalen System. Kolonialismus muß von all diesen Aspekten her gesehen werden, gerade auch aus der Warte der … Betroffenen an Ort und Stelle.

So steht es zu lesen in dem Buch „Kolonialismus: Geschichte, Formen, Folgen“ von Jürgen Osterhammel und Jan C. Jansen.

Dieser hier beschriebenen Komplexität dessen, worüber wir heute sprechen, wird aber bei uns doch schon Rechnung getragen. Wir sprechen jetzt zum dritten Mal im Plenum zu dem Thema. Vor allem der Ruf nach gesetzlichen Regelungen ist dabei lauter geworden. Dabei wissen wir doch spätestens seit der Diskussion um ein Restitutionsgesetz im Zusammenhang mit NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern, um die Schwierigkeiten rund um zivilrechtliche Fragen wie Verjährungsfristen, Beweislastumkehr etc.

Rückführungen von Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten scheitern nicht an mangelnden gesetzlichen Regelungen. Auch hebt eine gesetzliche Regelung weder die hier vielerwähnte eurozentrische oder eurozentristische Sichtweise noch postkoloniale Denkmuster auf.

Wer am Dienstag die Pressekonferenz des Deutschen Museumsbundes zur finalen Fassung des „Leitfadens Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ aufmerksam verfolgt hat, der weiß außerdem, dass in vielen Fällen der Museumspraxis Rückgabeersuchen gar nicht an der allerersten Stelle stehen. Oftmals geht es den Herkunftsgesellschaften vielmehr um Aufklärung, um Anerkennung, um Dialog, an dessen Ende dann auch Rückführungen stehen.

Ich wiederhole mich nicht nur in der Verwendung der Worte von Professor Raphael Gross, der sagt, dass zur historischen Urteilskraft die Fähigkeit gehört, sich der eigenen Wertung bewusst zu werden. Ich wiederhole mich auch darin, zu sagen, dass doch genau das passiert: Unser Bewusstsein im Umgang mit unserer kolonialen Vergangenheit verändert sich. Es stimmt ja, dass wir uns noch bis in die 2000er-Jahre hinein wenig bis gar nicht mit diesem Teil unserer Geschichte auseinandergesetzt haben. Es stimmt aber eben nicht, dass wir es immer noch nicht tun.

Vieles zeigt doch, dass sich der Umgang schon deutlich gewandelt hat: die bisherigen einzelfallbezogenen Rückführungen wie die der Wappensäule von Cape Cross oder die Rückführung menschlicher Überreste durch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, der bereits erwähnte, nun finale Leitfaden für Museen und Sammlungen, die „Ersten Eckpunkte zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden, die entsprechende zur Umsetzung gehörende Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die Drei-Wege-Digitalisierungsstrategie, die bei der Kulturstiftung der Länder angesiedelte Kontaktstelle als zentrale Anlaufstelle für Fragen rund um das Thema und der gestiegene Etat für die Provenienzforschung.

Gleichbedeutend wiegt die Entwicklung an den Universitäten. Die wachsende Zahl von Studiengängen zu Provenienzforschung oder Postcolonial Studies spricht doch für das steigende Interesse junger Menschen, das Thema Kolonialismus und deutsche Kolonialvergangenheit auch wissenschaftlich zu erforschen. Ausstellungen nicht nur in den ethnologischen und historischen Museen, sondern über alle Sparten und auch Kultureinrichtungen hinweg sprechen für die Aktualität und das Interesse am Thema. Das ist doch der Dialog, den wir wollen und der auch gut anläuft.

Wichtig ist – und damit schlage ich den Bogen zum eingangs erwähnten Zitat –, diese gesellschaftliche Entwicklung vor allem auch in Zusammenarbeit mit den Herkunftsgesellschaften sowie den internationalen Dialog stärker zu fördern.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)