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(Quelle: pixabay)

Wichtige Weichen für Europa gestellt

Deutsche EU-Ratspräsidentschaft geht erfolgreich zu Ende – Einigung auf Haushaltsplan und Wiederaufbaufonds

Mit einem fulminanten Finale geht die deutsche Ratspräsidentschaft zu Ende. Beim letzten Gipfel unter der Ägide von Bundeskanzlerin Angela Merkel im Dezember gelang die Einigung unter den 27 Mitgliedstaaten auf den siebenjährigen Haushaltsplan, den Corona-Wiederaufbaufonds und den lange umstrittenen Rechtsstaatsmechanismus. Auch in der Klimapolitik erreichte Merkel eine Einigung, mit der die EU Kurs auf das Ziel hält, bis 2050 klimaneutral zu werden. 

Überschattet von der Corona-Pandemie

Von einem sehr erfolgreichen Gipfel zum Abschluss des sechsmonatigen Vorsitzes sprach Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus: „Die deutsche Ratspräsidentschaft, die Bundeskanzlerin – sie haben gezeigt, dass wir Sachen zusammenbinden können.“ Dass die Bilanz am Ende so positiv ausfallen würde, war nicht absehbar gewesen, hatte die Corona-Pandemie doch ihre Schatten über die Ratspräsidentschaft geworfen. Die Gesundheitspolitik – ein Bereich, in dem Brüssel nur wenige Kompetenzen hat – nahm plötzlich viel Raum ein. 

Damit das Infektionsgeschehen auf Reisen von und nach Brüssel nicht angefacht wurde, mussten einige der Gipfeltreffen und viele Ministerräte in die virtuelle Realität verlagert werden. Wenn sich die Akteure aber nicht am Tisch gegenübersitzen, sondern sich nur am Bildschirm sehen, ist es schwerer als normalerweise, Temperamente zu bändigen und einen Ausgleich der Interessen zu finden.

Europäischer Zusammenhalt gestärkt

Interessen ausgleichen, Kompromisse finden - das hat Angela Merkel geschafft. „Die herausragende Leistung der deutschen Ratspräsidentschaft ist, dass der europäische Zusammenhalt gestärkt wurde“, bilanziert Fraktionsvize Katja Leikert. Trotz der vielen politischen Herausforderungen sei es der Kanzlerin gelungen, zwischen den verschiedenen Positionen der Mitgliedstaaten zu vermitteln. 

Mit Blick auf die erzielte Einheit der Mitgliedstaaten auf dem Gipfel im Dezember sprach auch der europapolitische Sprecher der Unionsfraktion, Florian Hahn, von einem großen Erfolg für die deutsche Ratspräsidentschaft unter Merkel. „Dadurch konnten entscheidende Weichen für Europa gestellt werden: ein siebenjähriger EU-Haushalt, dessen Mittelvergabe künftig an die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit geknüpft wird, die Freigabe der dringend benötigten Corona-Hilfen und ein Klimaschutzziel für das Jahr 2030, auch wenn dieses äußerst ehrgeizig bemessen ist und an die Grenze des Machbaren geht“, sagte Hahn. 

Einigung im Juli nur Etappensieg

Mit der vorläufigen Einigung auf den sogenannten Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR), wie der Haushaltsplan auf Fachebene genannt wird, und den Corona-Wiederaufbaufonds – „Next Generation EU“ – hatte die deutsche Ratspräsidentschaft schon auf ihrem ersten Gipfel im Juli einen festen Pflock eingeschlafen. Vier Tage und Nächte hatten die Beteiligten miteinander gerungen, bis ein Kompromiss reifte. Auf der einen Seite sperrten sich Polen und Ungarn, die den MFR als Hebel gegen den ungeliebten Rechtsstaatsmechanismus nutzten, auf der anderen Seite die sogenannten sparsamen Vier – die Niederlande, Österreich, Dänemark und Schweden -, die sich gegen Umfang und Verteilung der Wiederaufbauhilfen stemmten. 

1,8 Billionen Euro für sieben Jahre

Am Ende stand die Einigung auf eine Summe von rund 1,8 Billionen Euro, davon knapp 1,1 Billionen für den MFR und 750 Milliarden für den Fonds. Der Fonds besteht aus 390 Milliarden Euro nicht rückzahlbaren Zuschüssen und 360 Milliarden Euro an Krediten. Von ihm profitieren besonders die EU-Länder, die am stärksten unter der Corona-Krise gelitten hatten, darunter Italien, Frankreich und Spanien. Die Mittel für den Fonds nimmt die EU-Kommission am Kapitalmarkt auf – ein Novum, das eine Ausnahme bleiben soll. 

EU-Mittel an Rechtsstaatlichkeit binden

Gleichzeitig gaben Ungarn und Polen zunächst ihren Widerstand gegen den Rechtsstaatsmechanismus auf, der besagt, dass Zuwendungen aus dem EU-Haushalt gekürzt werden können, wenn ein Staat das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit missachtet. Um das Procedere gegen ein Land einzuleiten, bedarf es eines Vorschlags der EU-Kommission, der von der qualifizierten Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten angenommen werden muss. Auf diese Weise sollen die Werte der EU geschützt werden. 

Die Einigung vom Juli war indes nur ein Etappensieg. Zunächst verhandelte das Europaparlament hart um mehr Mittel für Forschung, Gesundheit und Bildung. Unter anderem gelang ihm, entsprechende Programme um 15 Milliarden Euro aufzustocken. Damit die von den Staats- und Regierungschefs vereinbarte Budgetobergrenze gewahrt werden kann, sollen vorhandene Ausgabenspielräume besser genutzt werden. Außerdem verpflichtet das Europaparlament die Mitgliedstaaten, 30 Prozent der Mittel aus dem MFR und dem Wiederaufbaufonds für den Kampf gegen den Klimawandel zu verwenden.

Europaparlament sattelt drauf

Während die Einigung mit dem Europaparlament im November stand, sperrten sich Polen und Ungarn erneut gegen den Rechtsstaatsmechanismus. Da dieser mit qualifizierter Mehrheit – also ohne ihre Zustimmung - verabschiedet werden konnte, drohten sie mit einer Blockade der Finanzmittel, für die Einstimmigkeit benötigt wird. 

Blockade überwunden

Wäre die Blockade nicht überwunden worden, hätte dies bedeutet, dass die EU ab Januar mit einem Nothaushalt hätte operieren müssen. Viele Programme hätten nicht weiter oder nur eingeschränkt fortgeführt werden können. Der Wiederaufbaufonds hätte auf andere rechtliche Füße gestellt werden müssen und wäre voraussichtlich erst mit monatelanger Verzögerung an den Start gegangen – inmitten der zweiten Welle der Corona-Pandemie eine Hiobsbotschaft.

Rückversicherungen für Polen und Ungarn

Umso höher einzuschätzen ist die Einigung, die die deutsche Ratspräsidentschaft am Ende erzielte. In einer Zusatzerklärung wurde Polen und Ungarn ausdrücklich zugestanden, gegen den Rechtsstaatsmechanismus vor dem Europäischen Gerichtshof zu klagen, so bald er in Kraft tritt. Damit kaufen sich beide Länder Zeit. Außerdem können sie den Europäischen Rat damit befassen, wenn ihnen die Anwendung des Rechtsstaatsmechanismus konkret angekündigt wird. Im Falle einer Sperrung von EU-Geldern muss nachgewiesen werden, dass diese tatsächlich zum Schaden der Rechtsstaatlichkeit verwendet wurden. 

Auf Kurs beim Klimaschutz

Einen Schritt weiter kam die deutsche EU-Ratspräsidentschaft zu guter Letzt auch mit Blick auf den Klimaschutz. So vereinbarten die Mitgliedstaaten die Verschärfung des Klimaziels für 2030. Bis dahin soll der Treibhausgasausstoß EU-weit um 55 Prozent gegenüber 1990 reduziert werden und nicht wie bislang nur 40 Prozent. Leikert sprach von einem wichtigen Signal. „Damit nimmt Europa weiterhin eine Vorreiterstellung in Sachen Klimaschutz ein“, sagte sie. 

Faire Lastenteilung angemahnt

Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Georg Nüßlein gab zu bedenken, dass das Ziel „nah an der Grenze des Machbaren“ liege. Bei der Umsetzung müsse man auf Wettbewerb, Markt und Technologieoffenheit setzen. Außerdem verlangte er eine faire Lastenteilung zwischen den Mitgliedstaaten. Deutschland hat sich auf nationaler Ebene bereits die 55 Prozent zum Ziel gesetzt, andere haben Luft nach oben. „Das große Projekt Klimaschutz gelingt nur gemeinsam“, mahnte auch die Klimaschutzbeauftragte der Unionsfraktion, Anja Weisgerber.