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Uwe Feiler: Im Koalitionsvertrag steht Europa an vorderster Stelle

Rede zur Regierungserklärung zur Tagung der Staats- und Regierungschefs der EU-27

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Koalitionsvertrag steht Europa an vorderster Stelle. Das ist angesichts der Herausforderungen, vor denen wir in Europa, aber auch in der Welt stehen, richtig und gut. Dabei liegt es vor allem an Deutschland selbst, bei den wichtigen Weichenstellungen, die die Europäische Union in den kommenden Monaten zu treffen hat, seine Interessen und die europäischen Interessen nicht nur zu formulieren, sondern entschlossen dafür zu werben und Mehrheiten zu gewinnen. Deshalb bin ich unserer Bundeskanzlerin äußerst dankbar, dass sie morgen in Brüssel genau das macht, und zwar unaufgeregt, aber zugleich zielstrebig und erfolgreich, so wie wir sie kennen.

Mit der Entscheidung des Vereinigten Königreichs, aus der Europäischen Union auszuscheiden, ändern sich für Deutschland und die anderen Mitgliedstaaten wesentliche Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit. Neben den rechtlichen Fragen fällt der Zeitpunkt der Austrittsverhandlungen in die Beratungen über den mehrjährigen Finanzrahmen der Europäischen Union. Allen hartnäckigen Gerüchten über den Britenrabatt zum Trotz verlieren wir neben einer großen Volkswirtschaft einen großen Nettozahler für den Haushalt der Europäischen Union. Der Entschluss der Briten, der Europäischen Union den Rücken zu kehren, reißt ein beträchtliches Loch von circa 12 Milliarden bis 14 Milliarden Euro pro Jahr in den EU-Haushalt. In diesem Zusammenhang begrüße ich es deshalb ausdrücklich, dass die Kommission diese Lücke zumindest zur Hälfte durch Einsparungen schließen möchte, anstatt ausschließlich nach immer mehr Geld aus den Mitgliedstaaten zu rufen.

Jedoch werden wir in den kommenden Jahren nicht nur mit einem Defizit auf der Einnahmenseite zu rechnen haben. Die heutige Zeit stellt uns vor eine Vielzahl neuer Herausforderungen und Aufgaben. Die Bekämpfung des Terrorismus, die Gewährleistung der inneren und äußeren Sicherheit, der Grenzschutz, Verteidigungsinvestitionen sowie Ausgaben für große Forschungsprojekte müssen finanziert werden. In den vergangenen Jahren ist von uns zu Recht immer wieder gefordert worden, dass sich die Europäische Union hier stärker engagiert. Den Vorschlag der Kommission, diese Mehrausgaben bis zu 80 Prozent aus neuen Mitteln zu decken, halte ich persönlich vor diesem Hintergrund für nachvollziehbar. Nach den Vorstellungen der Kommission sollen die angesprochenen Einsparungen durch maßvolle Kürzungen in der europäischen Agrar- und Kohäsionspolitik erfolgen. Da diese beiden Positionen zusammen mit einem Anteil von 73 Prozent einen Großteil der Ausgabenpositionen ausmachen, ist es verständlich, hier als Erstes anzusetzen.

Als Brandenburger Abgeordneter sei mir hier aber der Einwand erlaubt, dass neben den Direktzahlungen für unsere Landwirtschaft insbesondere die Strukturfonds einen unersetzlichen Beitrag zur Stärkung des ländlichen Raums leisten.

(Christian Lindner [FDP]: Verteidiger des Status quo!)

Im Unterschied zum Vorschlag von Haushaltskommissar Oettinger geht der Kommissionspräsident Jean-­Claude Juncker sogar einen Schritt weiter. Durch den Ausschluss aller Länder mit einem überdurchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen von Strukturfondsmittel würden zwar 100 Milliarden Euro im nächsten MFR zusätzlich eingespart werden. Jedoch fielen neben Deutschland die Beneluxstaaten, Frankreich, Schweden, Dänemark und Österreich aus der Förderung heraus, obwohl es sich bei diesen Staaten um Nettozahler handelt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Akzeptanz der EU in diesen Staaten zunimmt, wenn von den starken Volkswirtschaften zu Recht mehr Mittel gefordert werden,

(Christian Lindner [FDP]: Dafür müssen sie weniger Beiträge zahlen!)

dann aber ein Ausschluss von großen Teilen der Förderungspolitik erfolgt.

(Christian Lindner [FDP]: Das kann auch aus dem Bundeshaushalt gefördert werden!)

Auch in Deutschland gibt es nach wie vor Regionen, die einer Unterstützung durch die Europäische Union bedürfen. Deshalb haben alle Mitgliedstaaten einen Beitrag zur Konsolidierung des Haushaltes der EU zu leisten. Die Mitgliedstaaten sind hier gefragt, ihre Kreativität nicht nur auf zusätzliche Programme und Projekte zu beschränken, sondern auch mit konkreten Einsparvorschlägen aufzuwarten. So warb die Kommission erst kürzlich für mehr Einsparungen, aber eben auch um die Bereitschaft der Mitgliedstaaten, zusätzliche Mittel für neue Aufgaben und Projekte bereitzustellen.

Dies darf meiner Meinung nach aber nur geschehen, solange die Investitionen einen europäischen Mehrwert erzielen, das heißt, einen Zweck für die europäische Gemeinschaft erfüllen, ökonomischen und technischen Fortschritt bringen sowie für Stabilität und Ordnung in den Mitgliedstaaten sorgen. Aus meiner Sicht ist es unerlässlich, diesen Maßstab auch bei bestehenden Projekten anzulegen. Wir brauchen also eine Ausgabenkritik auch für bestehende Projekte.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Mehrausgaben könnten beispielsweise zum Teil mit neuen Einnahmen bestritten werden. Der Kommission schweben eine neue EU-weite Plastiksteuer oder die Aufnahme des EU-Emissionshandelssystems in den EU-Haushalt vor. Darüber wird zu diskutieren sein, wenn wir uns ausführlich mit den Eigenmitteln der Europäischen Union auseinandersetzen. Für mich ist aber wichtig, dass neue Einnahmequellen eine Lenkungswirkung aufweisen.

Vielleicht bietet aber auch der Brexit eine Chance, seit langer Zeit strittige Vorhaben voranzutreiben. Ich nenne als Stichworte die Gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage oder eine EU-weite Finanztransaktionsteuer.

Nun ist es in der EU wie in jeder großen Familie: Sobald man sich mit finanziellen Forderungen auseinandersetzen muss, werden die meisten erst einmal ganz still. So sind Österreich, die Niederlande und weitere Mitgliedstaaten nicht bereit, Mehrkosten zu übernehmen, bleiben aber Vorschläge schuldig, wo genau Einsparungen stattfinden sollen. Ich erwarte deshalb mit großer Spannung, wie sich Österreich im zweiten Halbjahr 2018 präsentiert, wenn es die Ratspräsidentschaft innehat. Mehr, zum Teil auch berechtigte Ausgabenwünsche beim Austritt eines großen Nettozahlers und gleichbleibenden Zahlungen der anderen Mitgliedstaaten werden keine Lösung darstellen.

In Richtung der AfD sei gesagt: Hinsichtlich der von Ihnen angesprochenen angeblichen Unsummen, die wir aus Berlin nach Brüssel schicken, bin ich der Meinung, dass wir damit vollkommen richtig handeln; denn 1 Prozent des Steueraufkommens des Bundes für ein Europa in Frieden, Freiheit und Wohlstand auszugeben, halte ich für einen angemessenen Beitrag.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)