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Thorsten Frei: Wir brauchen strategische Geduld

Rede zur Einsetzung einer Enquete-Kommission zum Afghanistan-Engagement

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will gleich zu Beginn sagen, dass wir die Oppositionsanträge ablehnen werden – nicht weil sie gänzlich falsch wären, sondern weil wir der Auffassung sind, dass wir natürlich seit 2001 in vielfacher Hinsicht diesen Einsatz überwacht haben, evaluiert haben, uns mit Wirkungsanalysen beschäftigt haben.

Wir haben 2014 eine umfassende Anhörung im Auswärtigen Ausschuss zu den „lessons learned“ aus Afghanistan gemacht, und wir haben neben den vielen regelmäßigen Berichten der Bundesregierung insbesondere am 23. Februar dieses Jahres einen Perspektivbericht der Bundesregierung bekommen,

(Zuruf des Abg. Tobias Pflüger [DIE LINKE])

der nicht nur das in der Vergangenheit Getane evaluiert hat, nicht nur eine Basis in der Gegenwart gelegt hat, sondern auch perspektivisch in die Zukunft geblickt hat. Deswegen möchte ich eindeutig sagen: Natürlich kann man immer noch mehr evaluieren, natürlich kann man immer noch mehr untersuchen. Aber den Eindruck zu erwecken, wir wären hier im Blindflug unterwegs, ist jedenfalls falsch.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir wissen sehr genau, was wir hier tun. Und wir sind uns auch bewusst, dass wir denen verantwortlich sind, die als Soldaten, als Polizisten, als zivile Experten dort im Einsatz sind oder gar ihr Leben gelassen haben, und dass wir denen Rechenschaft schuldig sind – genauso wie den deutschen Steuerzahlern, deren Geld wir dort einsetzen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Lassen Sie mich an der Stelle aber auch sagen: Man darf auch nicht den Eindruck erwecken, als wären wir in Afghanistan nur altruistisch unterwegs.

(Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Ach so!)

Natürlich vertreten wir dort auch unsere Interessen – weil es stimmt, was Peter Struck bereits im Jahr 2002 gesagt hat,

(Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Aha! „Mehr Sicherheit“ hat er gesagt!)

dass nämlich die deutsche Freiheit auch am Hindukusch verteidigt wird,

(Lachen bei der AfD – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Den kann man nicht dauernd wiederholen, den Unsinn!)

weil es auch darum geht, in Zeiten der Globalisierung nicht den Kopf in den Sand zu stecken, sondern die Herausforderungen zu sehen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Herr Springer, das, was Sie angesprochen haben, nämlich dass Fluchtursachen gesetzt werden, dass Flüchtlingsströme in Gang gesetzt werden, das ist doch komplett falsch. Tatsache ist, dass dort bis 2001 ein gescheiterter Staat war, der Rückzugsgebiet für islamistische Terroristen war, die ihre Anschläge bei uns ausgeübt haben.

(Dr. Alexander Gauland [AfD]: Und jetzt? Was ist denn jetzt?)

Deswegen ist es Schutz unserer Bevölkerung, wenn wir dagegen vorgehen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das ist genauso richtig, wie dass wir Fluchtursachen dort bekämpfen. Wenn Sie das negieren, dann glauben Sie tatsächlich, dass an den deutschen Grenzen die Welt zu Ende wäre; dem ist mitnichten so.

(Dr. Alexander Gauland [AfD]: Den Quatsch glauben wir nicht!)

Ein zweiter Punkt, den ich sagen möchte: Man darf ja durchaus auch auf die Veränderungen vor Ort eingehen. Natürlich sind die Probleme nach wie vor groß. Auch wir wissen, dass dort im ersten Halbjahr dieses Jahres 1 700 Menschen gestorben sind, dass der Blutzoll, insbesondere der afghanischen Sicherheitskräfte, enorm ist. Das ist richtig. Trotzdem spüren wir auch Veränderungen und Verbesserungen.

(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Da muss man sich die Sache aber schon sehr schön reden!)

Wenn ich mir anschaue, dass im Juli etwa 200 Generale, 1 250 Obristen in den Ruhestand versetzt wurden, dass Denkschablonen aufgebrochen worden sind, dass neue Wege auch im Sicherheitssektor gegangen werden, dann muss ich sagen: Dort bewegt sich etwas. – Genauso ist wichtig, festzuhalten, dass sich die Sicherheitslage trotz des Einschnittes im Jahr 2014 jedenfalls seit 2017 nicht mehr verschlechtert hat. Die Aufständischen halten 13 Prozent von Afghanistan, die Regierung immerhin etwa 60 Prozent. All das darf man nicht negieren.

Wenn wir über Nachhaltigkeit und Stabilisierung sprechen, ist es auch wichtig, zu schauen, wie die sozio­ökonomische Entwicklung im Land ist. Da muss man sehen, dass seit 2001 die Lebenserwartung in Afghanistan von 44 auf 61 Jahre gestiegen ist, dass 55 Prozent der Menschen Zugang zu sauberem Wasser haben,

(Zurufe von der AfD)

dass nicht 1 Million Schüler in die Schule gehen, sondern 8 Millionen Kinder – davon ein Drittel Mädchen –, dass sich sowohl das Bruttosozialprodukt als auch das Einkommen der Afghanen in diesen Jahren mehr als verfünffacht hat. All das ist eben auch richtig, wenn es um Fortschritte geht.

Lassen Sie mich an der Stelle auch sagen: Ja, wir brauchen hier auch strategische Geduld. Langfristige Stabilisierung geht nicht bis morgen.

(Dr. Alexander Gauland [AfD]: „Morgen“ ist schön!)

Deswegen ist es, glaube ich, auch angesichts der politischen Rahmenbedingungen – am 20. Oktober sind Parlamentswahlen, am 20. April nächsten Jahres Präsidentschaftswahlen – richtig, dass wir die Afghanen auch darin unterstützen, möglichst faire, freie und akzeptierte Wahlen abzuhalten, um damit auch die Grundlage dafür zu legen, dass sich der Staat weiter positiv entwickeln kann. Dafür braucht man in der Tat Geduld. Dafür muss man auch die Energie aufbringen, Rückschläge in Kauf zu nehmen und zu überwinden.

(Abg. Armin-Paulus Hampel [AfD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Die politischen Rahmenbedingungen sind übrigens nicht nur innenpolitisch besser geworden, sondern auch außenpolitisch, beispielsweise mit der Wahl von Imran Khan zum neuen Ministerpräsidenten von Pakistan, was von zentraler Bedeutung ist, wenn es darum geht, die politischen Parteien, also Taliban und Regierung, für eine politische Lösung in Afghanistan zu gewinnen. Die erste Reise des pakistanischen Außenministers ist nach Kabul gegangen.

Vizepräsident Thomas Oppermann:

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen. Sie können nur dann weiterreden, wenn Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hampel akzeptieren.

Thorsten Frei (CDU/CSU):

Ja, das mache ich selbstverständlich. Vielen Dank, Herr Präsident.

(Heiterkeit – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn das keine Einladung war! Das ist aber ein netter Präsident!)

Armin-Paulus Hampel (AfD):

Schön, dass ich jetzt noch hier reden kann während Ihrer Redezeit. – Bei dem malerischen Bild, das Sie gerade vom Hindukusch gezeichnet haben, müsste doch die logische Schlussfolgerung sein, dass sämtliche Afghanen in Deutschland sofort wieder nach Hause fahren können. Denn die Zustände, die Sie beschrieben haben, sind für den Hindukusch ja fast paradiesisch, Herr Frei.

(Beifall bei der AfD – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist die einfache Denkweise der AfD!)

Thorsten Frei (CDU/CSU):

Erstens, Herr Kollege Hampel, ist es so, dass ich darüber spreche, dass wir in einem Prozess sind, dass wir in Afghanistan große Probleme haben, aber dass es durchaus viele Ansatzpunkte dafür gibt, wie sich die Dinge verbessern. Wie Sie wissen, finden Abschiebungen nach Afghanistan statt, und ich bin der Auffassung – das habe ich vorhin erläutert –: Es gibt natürlich auch in Afghanistan Bereiche, in denen man gut leben kann

(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann nennen Sie doch mal welche namentlich! Einen Namen!)

und in die deswegen auch Rückführungen möglich sind. Deswegen muss man das sehr differenziert betrachten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsident Thomas Oppermann:

Jetzt haben Sie noch den Schlusssatz.

Thorsten Frei (CDU/CSU):

Dann weise ich noch mal darauf hin, dass wir die Anträge der Opposition ablehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)