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Sebastian Brehm: Es gibt massive Einschränkungen in der Presse- und Meinungsfreiheit

Redebeitrag in der aktuellen Stunde zum Kampf der Menschen für Demokratie und nationale Souveränität in Belarus

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der „Frankfurter Rundschau“ vom 14. September berichtet ein Überlebender, Igor Stankewitsch, unter der Überschrift „29 Stunden Folter im Gefängnis“ wie folgt:

Sie zwangen mich auf die Knie, mit dem Kopf auf den Boden, die Hände auf den Rücken gefesselt. Dann schlugen sie mit Stöcken auf mein Gesäß ein, immer wieder, und schrien mich an: „Was gefällt dir nicht bei uns?“

Igor versucht, unter den Schlägen die Muskeln zu entspannen. Die Schmerzen der Hiebe, die ins Fleisch schneiden, sind dann weniger beißend. Und er ermahnt sich, nicht zu verraten, dass er polnische Wurzeln hat und als Journalist arbeitet. Denn wenn er das zugibt, davon ist er überzeugt, dann „töten sie mich“.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, und das geschieht inmitten von Europa.

Es gibt massive Einschränkungen in der Presse- und Meinungsfreiheit. Belarus belegt 2019 in der jährlich erstellten Rangliste von „Reporter ohne Grenzen“ den unrühmlichen Platz 153 von 180. Es gibt keine Rechtstaatlichkeit, keine unabhängige Gerichtsbarkeit. Die Richter werden vom Präsidenten ernannt.

Belarus ist das einzige Land auf dem europäischen Kontinent, das noch immer die Todesstrafe verhängt und auch vollstreckt. Und schon vor der Wahl in Belarus richteten sich staatliche Repressionen bis hin zu schwerer Folter gegen Menschenrechtsaktivisten, Oppositionspolitiker, Journalisten und Blogger, Rechtsanwälte und Gewerkschafter. Es kommt zu Einschüchterungen und schlimmsten Szenen der Polizeigewalt. Fälschungen von Wahlergebnissen und das Aus-dem-Weg-Räumen von Konkurrenten sind ein Teil des Systems. Dieses System dient seit Jahren und gerade heute auch wieder dazu, den Protesten die Kraft zu nehmen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen hier nicht wegsehen. In Belarus werden die Menschenrechte schon seit Jahrzehnten und insbesondere jetzt mit Füßen getreten. Die aktuelle Situation ist mehr als besorgniserregend, mehr als alarmierend. Mehrere Tausend Menschen sind inzwischen inhaftiert. Allein am letzten Wochenende wurden knapp 800 Menschen verhaftet. Diesen friedlichen Menschen wird wegen unerlaubter Demonstrationen und des Auflehnens gegen die Staatsgewalt der Prozess gemacht. Erlaubt sind nur Demonstrationen der Unterstützer Lukaschenkos.

Schon zu Beginn der Krise halfen sich die Menschen hier untereinander, auch in Coronazeiten; der Staat schaut weg. Durch das Land geht aber eine bisher kaum gesehene Welle an Initiativen und Hilfsaktionen. Die Menschen in Belarus wollen einen Wechsel. Sie gehen nach wie vor mutig auf die Straße, um eine friedliche Veränderung zu bewirken.

Ich glaube, der große Teil des Parlaments hier steht zu den mutigen und friedlichen Menschen, vor allem zu den vielen Frauen und jungen Mädchen in Belarus. Die Proteste in Belarus haben ein weibliches Antlitz. Die Bilder dieser mutigen Frauen gehen durch die Welt, und sie verdienen unseren allergrößten Respekt und unsere breite Unterstützung.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Seit dem Jahr 1945 ist Belarus Mitglied der Vereinten Nationen. In der UN-Menschenrechtskonvention von 1948 ist in Artikel 3 unmissverständlich niedergeschrieben:

Jeder Mensch hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.

Artikel 5:

Niemand darf Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.

Artikel 9:

Niemand darf willkürlich festgenommen, in Haft gehalten oder des Landes verwiesen werden.

Deswegen fordern wir von hier aus das Regime Lukaschenko auf: Setzen Sie diese UN-Menschenrechtskonvention um, und nehmen Sie die Punkte an! Lassen Sie die politischen Häftlinge frei, insbesondere Marija Kolesnikowa!

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir wollen eine freie Berichterstattung in dem Land für Journalistinnen und Journalisten und für Bloggerinnen und Blogger. Wir wollen Demonstrationsfreiheit und Meinungsfreiheit und natürlich einen Dialog, der dazu führt, dass wir endlich freie und faire Wahlen in Belarus bekommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will auch dies gerade am Ende dieser Diskussion noch sagen: Wir haben heute zwei Reden von Herrn Herdt und Herrn Dr. Friesen gehört, die die Situation in Belarus mit der in Deutschland vergleichen. Ich finde das politisch unappetitlich, und das muss man einfach auch mal so ausdrücken: Dieser Vergleich ist politisch unappetitlich.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich kann bloß mit einem Zitat von Dietrich Bonhoeffer schließen: Jeder ist für seine Dummheit selbst verantwortlich.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)