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Roderich Kiesewetter: Nukleare Teilhabe in Europa verhindert die Ausweitung von Nuklearwaffen

Rede zum Atomwaffenverbotsvertrag

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Forderung nach einer nuklearwaffenfreien Welt – da möchte ich an die Rede des Kollegen Felgentreu anknüpfen – steht nach wie vor als eine ganz wichtige außenpolitische Forderung der Bundesrepublik Deutschland im Raum. Aber wir müssen die Lage realpolitisch und sehr scharfsinnig bewerten. Da greift mir der Antrag der Linken deutlich zu kurz. Sie nehmen keine Rücksicht auf außen- und sicherheitspolitische Interessen, weder Deutschlands noch unserer Verbündeten.

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Doch! Gerade!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, betrachten wir doch einmal die Lage, wie sie wirklich ist. In Europa sind etwa 170 Nuklearwaffen der USA stationiert. Dem stehen 1 700 Nuklearwaffen Russlands gegenüber. Des Weiteren besteht der Verdacht, dass Russland durch die beabsichtigte Stationierung eines Waffensystems, das bis zu 2 000 Kilometer Reichweite hat, den INF-Vertrag bricht. Das wäre ein eindeutiger Bruch des INF-Vertrags.

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Was ist mit dem Raketenschild?)

– Das sind keine Nuklearwaffen.

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Aber die Erstschlagoption wird angegriffen!)

Ein weiterer ganz entscheidender Punkt ist, dass die Sicherheitsarchitektur in Europa aus den Fugen geraten ist. Mit der Besetzung der Krim ist etwas geschehen, das das Vertrauen in die internationale Ordnung erheblich verletzt hat.

(Zurufe von der LINKEN)

Denn mit dem Budapester Memorandum von 1994 hat die Ukraine ihre Nuklearwaffen an Russland übergeben und ist ein nuklearwaffenfreier Staat geworden. Hätte die Ukraine auf den Behalt der Nuklearwaffen bestanden, wären im Februar 2014 die Annexion der Krim und die Destabilisierung der Ostukraine so nicht passiert.

(Zurufe von der LINKEN)

All das gilt es in aller Klarheit anzusprechen. Der Bruch der internationalen Abkommen ist weder von der Bundesrepublik Deutschland noch von den Vereinigten Staaten betrieben worden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht mir um Folgendes: Ich möchte den Aspekt der nuklearen Teilhabe herausgreifen. Nukleare Teilhabe in Europa verhindert die Ausweitung von Nuklearwaffen. Denn damit verhindern wir, dass sich Staaten wie Polen und andere Länder – wir haben die Debatte in Polen gerade erst im Frühsommer dieses Jahres erlebt – nuklear bewaffnen wollen. Belgien, Niederlande, Italien, die Türkei und Deutschland übernehmen mit der nuklearen Teilhabe die Verantwortung, Schutzgarantien zu geben, und verhindern auf der anderen Seite die nukleare Proliferation in Europa.

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Altes Denken!)

Deshalb ist es so wichtig, dass wir in diesem Bundestag frühzeitig die Frage der nuklearen Teilhabe und damit auch der Trägersysteme behandeln.

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Altes Denken! Kalter Krieg!)

Bis zum Jahr 2025 wird der Tornado der deutsche Beitrag für die nukleare Teilhabe sein. Aber ab 2025 wird dieses Einsatzsystem nicht mehr verfügbar sein. Heute müssen wir die Entscheidung treffen, wie es nach 2025 weitergeht.

Eine schleichende Aufgabe der nuklearen Teilhabe entspricht nicht unseren außen- und sicherheitspolitischen Interessen. Vielmehr muss es doch unser Interesse sein, weiterhin glaubwürdig nukleare Teilhabe zu ermöglichen. Deshalb sollten wir, wenn die Amerikaner uns schon zur Lastenteilung auffordern, in der Lage sein, mit europäischen Fähigkeiten gemeinsam ein entsprechendes Flugsystem zu entwickeln und bereitzustellen und weiterhin die nukleare Teilhabe zu ermöglichen.

(Zuruf von der LINKEN: Nein!)

Das ist auch deshalb eine Chance für nukleare Abrüstung, weil wir nicht schleichend die nukleare Teilhabe aufgeben, sondern in der Lage sind, wenn wir sie fortsetzen, dies als Pfund in die Verhandlungen einzubringen.

Das bedeutet also: Wir verhindern erstens, dass andere Staaten in Europa nuklearwaffenfähig werden. Zweitens zeigen wir, dass wir mit den Amerikanern weiterhin kooperieren. Und drittens haben wir mit der nuklearen Teilhabe auch einen transatlantischen Raum von Nordamerika bis zur östlichen Grenze der NATO, die unteilbar denselben Sicherheitsraum darstellt. Wir haben keine Zonen unterschiedlicher Sicherheit.

(Beifall des Abg. Jürgen Hardt [CDU/CSU])

Wenn es uns gelingt, das auch im Rahmen der nuklearen Teilhabe fortzusetzen, dann werden wir in der Lage sein, auch vernünftige Abrüstungsverhandlungen hinzubekommen.

Aus meiner Sicht sind dabei zwei Dinge nötig: erstens, dass Russland den INF-Vertrag einhält,

(Zuruf von der LINKEN: Und die Amerikaner?)

– die Amerikaner halten ihn noch ein, und wir müssen darauf drängen, dass es so bleibt; das teile ich – und zweitens, dass wir durch Verhandlungsbereitschaft, durch Transparenz und durch die Ermöglichung gegenseitiger vertrauensbildender Maßnahmen in Rumänien und Polen, wo die Einrichtungen der Amerikaner sind, und umgekehrt in Kaliningrad und dort, wo womöglich im Umfeld von Jekaterinburg diese neuen Systeme stationiert werden, entsprechende Überprüfungsmaßnahmen einleiten. Dann ist der Ball rund, dann beruhen beide Seiten der Medaille – nukleare Rückversicherung auf der einen Seite und nukleare Teilhabe und Verantwortungsübernahme auf der anderen Seite – auf einem gemeinsamen Ansatz, und den sollten wir als Bundesrepublik Deutschland verfolgen.

Ihr Antrag berücksichtigt das überhaupt nicht. Er greift zu kurz. Deshalb lehnen wir als CDU/CSU-Fraktion Ihren Antrag ab.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)