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Roderich Kiesewetter: Die Anerkennung als sicherer Drittstaat ist nicht ausreichend

Rede zur Einstufung von Algerien, Marokko und Tunesien

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Debatte zeigt, dass wir die drei Maghreb-Staaten nicht ausschließlich vor dem Hintergrund innenpolitischer Argumente betrachten dürfen. Das haben Detlef Seif und Michael Kuffer und einige andere sehr klargemacht.

Wenn wir auf die Maghreb-Staaten schauen, sehen wir drei Länder – darunter Algerien, das größte Land Afrikas –, die unter einem ungeheuren Migrationsdruck stehen, drei Staaten, die sich der europäischen Wertegemeinschaft zumindest auf der politischen Ebene und in manchem zivilgesellschaftlichen Bereich eng verbunden fühlen. Diese Staaten haben aber Millionen von Jugendlichen, Millionen von jungen Menschen, die trotz Ausbildung keine berufliche Perspektive haben. Dass diese jungen Menschen ihr Heil jenseits des Mittelmeeres suchen, liegt auf der Hand.

Wenn wir diese drei Staaten zu sicheren Herkunftsländern erklären – es spricht einiges dafür; das ist angesprochen worden –, hat innerhalb von zwei Jahren eine Evaluierung zu erfolgen – das gehört dazu –, in der die Länder getrennt zu betrachten sind. Man kann eine solche Entscheidung auch revidieren. Das ist aber der innenpolitische Teil.

Ich möchte als Außenpolitiker einen anderen Aspekt ansprechen. Diese drei Länder unterliegen einem großen demografischen Druck. Diese drei Länder sind sehr unterschiedlich regiert. Algerien wird in den nächsten zwei, drei Jahren einen Regierungswechsel haben, mit vermutlich schwerwiegenden Folgen in diesem gerade noch befriedeten Land. Marokko und Tunesien sind auf dem Weg in eine gewisse Stabilität. Dabei unterstützen wir sie. Wenn wir mit diesen Staaten zusammenarbeiten wollen – und sie wollen sichere Herkunftsstaaten werden –, reicht es nicht aus, sie zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären, sondern das muss durch eine Reihe anderer Maßnahmen im Rahmen der migrationspolitischen Zusammenarbeit begleitet werden. Ich möchte ein paar nennen.

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollege Kiesewetter, gestatten Sie eine Bemerkung oder Frage der Kollegin Keul?

Roderich Kiesewetter (CDU/CSU):

Gerne.

Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank, Herr Kollege Kiesewetter, dass Sie die Frage zulassen. – Ich finde es sehr gut, dass Sie hier die außenpolitische Dimension dieses Themas aufgreifen. Gerade deswegen frage ich Sie, ob Ihnen eigentlich bewusst ist, was diese Anerkennung als sicherer Herkunftsstaat für eine politische Symbolwirkung auf Länder wie Marokko, aber auch Tunesien hat. Beispielsweise sieht der marokkanische König darin ein Qualitätsmerkmal für sich und nimmt das als Beleg, um in der Westsahara-Krise weiterhin nichts unternehmen zu müssen und auch hinsichtlich der Menschenrechtssituation nichts unternehmen zu müssen. Er kann dann darauf verweisen, dass zum Beispiel Deutschland Marokko als sicheren Rechtsstaat anerkannt hat.

Beispiel Tunesien: Wir begleiten Tunesien auf dem Weg zum Rechtsstaat. Es ist ja auch richtig, dass Deutschland Tunesien dabei unterstützt. Auf der anderen Seite wissen wir aber, dass deutsche Kinder in der tunesischen Wüste sitzen und die tunesischen Behörden nicht in der Lage sind, die rechtskräftigen Urteile aus ihrem eigenen Land in der Provinz zu vollstrecken und diese beiden Mädchen im Grundschulalter aus Hannover, die seit zwei Jahren in der Wüste sitzen, herauszuholen. Alle deutschen Vertreter in Tunesien sagen: In einem Rechtsstaat muss ein Urteil auch vollstreckt werden. – Doch dann wird nur mit den Schultern gezuckt und gesagt: Na ja, Sie wissen ja, wie das in der Provinz ist.

Das heißt, Deutschland muss im Gegenzug doch auch Druck ausüben. Wie wollen Sie Druck ausüben, wenn Sie diesen Ländern einen Freifahrtschein geben, indem Sie sie als sicher anerkennen?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Roderich Kiesewetter (CDU/CSU):

Liebe Frau Kollegin Keul, ich danke Ihnen sehr für den Hinweis. Sie werden immer Einzelfälle, Exempel finden, die nicht zum Gesamtbild passen. Ich möchte Ihnen sehr klar drei, vier Punkte nennen, an denen wir handeln müssen.

Erstens. Im Bereich der beruflichen Qualifizierung müssen wir besser zusammenarbeiten. Wir müssen Migrationszentren aufbauen. Wir haben beispielsweise in Tunis eines – das habe ich besucht – und auch im Senegal. Es geht darum, dass jungen Leuten im Rahmen der Berufsberatung etwas angeboten wird.

Zweitens geht es um die Frage der Qualifizierung für die Rückkehr, aber auch um die Qualifizierung vor Ort im Rahmen von Ausbildungspartnerschaften. – Frau Präsidentin, Sie können die Zeit weiterlaufen lassen, weil die Beantwortung der Frage unmittelbar in meine Rede übergeht. Es ist aber sehr fair, dass Sie die Zeit noch anhalten.

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das beantwortet nicht meine Frage!)

Beim dritten Punkt – ich antworte darauf – geht es um die Befähigung der dortigen staatlichen Sicherheitsorgane. Es geht darum, dass die Staaten an der Gefährdungsanalyse mitwirken, dass Gefährder unter Berücksichtigung der Menschenwürde und der rechtsstaatlichen Gesetze, an deren Erarbeitung wir ja mitwirken, behandelt werden, dass die staatlichen Behörden diese Gesetze anwenden und mithelfen, jungen Leuten Perspektiven zu bieten. Hier sind auch wir gefordert. Mit Blick auf diejenigen, die bereits beim IS waren oder in diese Richtung tendieren, müssen Maßnahmen der Deradikalisierung eingeleitet werden. In anderen Fällen muss eine Radikalisierung durch Präventionsmaßnahmen verhindert werden. Aus meiner Sicht ist ganz entscheidend, dass wir im Rahmen der Rechtsstaatsprogramme der Europäischen Union, aber auch bilateraler deutsch-tunesischer Projekte, Frau Kollegin Keul, ganz genau in diese Richtung schauen und unsere Ansprüche klarmachen.

Ich will deutlich machen, dass die Anerkennung als sicherer Drittstaat nicht ausreichend ist. Dies mag notwendig sein, um die Lage dort zu verbessern, auch deshalb, weil die Staaten dies anstreben. Aber es ist nicht hinreichend, weil wir auch begleitende Maßnahmen ergreifen müssen. Dazu gehört – das wiederhole ich in fast jeder Rede gebetsmühlenartig, wenn es um diese Regionen geht –, dass wir Handelspartnerschaften ermöglichen müssen und dass wir eine Marktöffnung für die Produkte aus diesen Regionen brauchen. Dies muss einhergehen mit rechtsstaatlichem Druck auf Polizeien, Gerichte etc. All das muss miteinander verknüpft werden. Dazu gehört auch, dass wir in Zukunftsbranchen in diesen Ländern investieren, nämlich in eine moderne Landwirtschaft, in den IT-Bereich und in den Energiesektor.

Abschließend, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir müssen dieses Thema sehr ausführlich beraten. Mein Rat ist, dass wir den Maghreb gesondert betrachten, weil diese Länder zu einem gemeinsamen Verantwortungsraum im Mittelmeer gehören. Wenn es um den Mittelmeerraum geht, sollte nicht zwischen Afrika und Europa unterschieden werden. Er ist unser Verantwortungsraum. Es wäre also ein Signal der Ermutigung, das wir mit der Anerkennung dieser Länder als sichere Herkunftsstaaten geben würden, und es wäre ein Vertrauensvorschuss. Aber – ich sage das ganz bewusst – wir müssen diese Anerkennung mit einer strategischen Investition in diese Regionen verknüpfen, damit sie sich zum rechtsstaatlichen Raum der Europäischen Union und zum gemeinsamen Verantwortungsraum bekennen. Da unterstütze ich das, was die Frau Kollegin eben angesprochen hat.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)