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Roderich Kiesewetter: "Auf den Dreiklang von nuklearer Rückversicherung besinnen"

Aktuelle Stunde zur Zukunft des INF-Vertrages als Kernelelement europäischer Sicherheit

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind gerade Zeitzeugen eines beispiellosen Verfalls und Kollapses der internationalen Rüstungsarchitektur. Unsere Aufgabe ist nicht, das zu kommentieren, sondern ist es, handlungsfähig zu bleiben.

Handlungsfähig heißt für uns als Bundesrepublik Deutschland, dass wir uns auf den Dreiklang von nuklearer Rückversicherung, von vertrauensbildenden Maßnahmen und von dem Drängen auf eine funktionierende Rüstungskontrolle besinnen. Diese drei Bereiche bilden die Kernaufgabe, die wir erfüllen müssen, um Rüstungskontrolle zu ermöglichen.

Woran liegt das? In den letzten 30 Jahren hat sich das sicherheitspolitische Umfeld – das haben wir alles gehört; das wissen wir – dramatisch verändert, auch im Bereich der Nuklearfähigkeit bestimmter Länder. Indien, China, Pakistan und Iran verfügen inzwischen über Fähigkeiten, die Bestandteil eines INF-Vertrags sein müssten.

(Armin-Paulus Hampel [AfD]: Genau!)

China hat so viele Raketen. 80 Prozent seines Raketenpotenzials fielen unter einen potenziellen INF-Vertrag.

Aber entscheidender ist, wie sich Russland in den letzten zehn Jahren verhalten hat. Bereits im Jahr 2007, bei der Münchener Sicherheitskonferenz, hat der russische Außenminister Lawrow gesagt: Der INF-Vertrag ist ein Relikt des Kalten Krieges. – Und Putin sagte – ich war damals zugegen –: Das ist universell sowieso nicht einsetzbar. – Das heißt, bereits im Jahr 2007 sagte Russland auf internationaler Bühne, dass der INF-Vertrag obsolet zu werden scheint.

Statt aber die Zeit zu nutzen und mit dem wichtigsten Partner, den USA, in ein Einvernehmen zu kommen, hat Russland in den letzten zehn Jahren eine Entwicklung vorweggenommen, die ein Scheitern des INF-Vertrags einkalkuliert hat.

Bereits im Jahr 2014 hat Obama sehr deutlich gemacht, dass es Verdachtsmomente gibt, dass Russland gegen diesen Vertrag verstößt. Bis zum Frühjahr dieses Jahres hat Russland geleugnet, dass es neue Systeme entwickelt und – wie wir hören – offensichtlich auch disloziert hat. Das bedeutet, dass wir zehn Jahre lang Zeitzeugen geworden sind, wie Russland nicht am Erhalt des INF-Vertrags gearbeitet hat, obwohl die Obama-Administration sehr intensiv darauf hingewirkt hat.

Daraus müssen wir doch Folgerungen ziehen. Eine der Folgerungen ist, dass wir Europäer ein ganz hohes Interesse am Erhalt des INF-Vertrages haben. Wir werden ihn aber nicht erhalten, wenn wir nicht zusammenstehen und wenn wir nicht deutlich machen, dass Russland ihn unterläuft. Deswegen ist unser Rat an die USA – der Außenminister hat es eben angesprochen –, nicht vorzeitig aus dem Vertrag auszusteigen und Russland quasi einen Vorwand für eine offizielle nukleare Aufrüstung zu liefern, sondern alles für den Erhalt des Vertrages zu tun. Ich appelliere auch an Außenminister Lawrow und Präsident Putin: Schaffen Sie Transparenz!

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Josip Juratovic [SPD] und Frank Müller-Rosentritt [FDP])

Stellen Sie das Vertrauen wieder her! Dann sind auch wir bereit, russische Vorwürfe aufzugreifen und zu entkräften. Ich spreche von der Raketenabwehr in Rumänien und einem System, das bis 2020 in Polen aufgestellt wird und eben nicht den Vertrag verletzt. Daraus ergeben sich für mich drei Folgerungen.

Erstens. Wir als CDU/CSU müssen gemeinsam in der Koalition daran arbeiten, dass Europa zusammensteht und dafür kämpft, dass dieser Mittelstreckenabrüstungsvertrag erhalten bleibt.

Zweitens. Wenn wir ihn erhalten wollen, müssen wir ihn vermutlich öffnen. Das ist ein sehr langwieriger Prozess, und es wird sicherlich sehr schwer sein, China und andere – ich habe mit einigen Kollegen die Ehre, Sie, Herr Außenminister, am Wochenende zu begleiten – zu überzeugen. Ich glaube, da überheben wir uns auch ein bisschen. Aber wir haben als Verfechter der regelbasierten internationalen Ordnung auch die Pflicht, China, das sich als neuer Verfechter einer internationalen Handelsordnung begreifen will, daran zu erinnern, dass weltweites Vertrauen nur durch Rüstungskontrolle zu schaffen ist. Das Gefühl von Sicherheit ist notwendig.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Ein anderer Gedanke: Ich warne davor, in diesem Klima einseitig Nuklearwaffen aus Europa abzuziehen. Wir würden nur eine neue Debatte entfachen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir würden sie beispielsweise in Polen entfachen. Das ist etwas, was wir nun wirklich überhaupt nicht gebrauchen können.

Das führt mich zu meinem dritten Punkt. Wir sollten uns darauf einstellen, dass der INF-Vertrag womöglich scheitert. Deshalb müssen wir alles tun, dass dies nicht zu einer Nachrüstungsdebatte in Europa führt, sondern zu einer Fähigkeitsdebatte.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben heute bereits über das 2‑Prozent-Ziel gesprochen. Zu dieser Fähigkeitsdebatte gehört auch, ballistische Raketenabwehr und Abwehr von Marschflugkörpern zu leisten. Das ist ein hoher Aufwand, das ist kein Pappenstiel; und das müssen wir auch unserer Bevölkerung gegenüber sehr klar vertreten.

Mir kommt es auf Folgendes an, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die letzten zehn Jahre wurden von Russland genutzt, um den Vertrag schleichend zu untergraben. Die Amerikaner sollten sich jetzt nicht unnötigerweise in eine Position bringen, in der sie der Beelzebub für das russische Vorgehen werden. Das sollten wir gemeinsam verhindern. Deshalb sollten wir als Europäer zusammenstehen.

In diesem Sinne danke ich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)