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Philipp Amthor: Die Karlsruher Entscheidung ist aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden

Rede zur Europäischen Grundwerteinitiative

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist doch eine schöne Sache an diesem Tag, dass wir uns jetzt nach diesen schlechten Schauspielnummern der AfD wieder dem Ernst der Lage zuwenden können.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Lachen bei der AfD)

Ich finde, wenn wir uns diese Debatte und die Anträge anschauen, dann muss man auch mal etwas lobend sagen: Es ist gut, dass es in der Opposition im Deutschen Bundestag noch Fraktionen gibt, die ordentlich und konstruktiv mitarbeiten. Ich will sogar ohne große Pointe sagen: FDP und Grüne haben hier schon deutlich schlechtere Anträge vorgelegt.

(Jan Korte [DIE LINKE]: Es wäre schön, wenn Sie das bei der Regierungsarbeit berücksichtigen würden!)

Gleichzeitig ist es aber so, dass die Debatte eines sehr, sehr deutlich zeigt: Wir alle reden immer viel und häufig über die Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union. Wir reden aber viel zu selten darüber, was dieser Rechtsstaatlichkeitsbegriff eigentlich meint oder was er nicht meint. Ich will sagen: Es ist eine zentrale Herausforderung, dass wir einen unionsrechtlichen Rechtsstaatlichkeitsbegriff näher elaborieren.

(Lachen bei Abgeordneten der AfD)

Der Rechtsstaat ist zuallererst kein Schönwetterthema, sondern er ist gerade auch jetzt ein Krisenthema. Der Rechtsstaat ist kein abstraktes Thema, sondern er ist immer ein für die Lebenswelt ganz konkretes Thema. Aber der Rechtsstaat ist eben auch kein politisches „Wünsch dir was“. Deswegen sollten wir vermeiden, den Rechtsstaat als einen politischen Begriff zu verwenden.

Ich sage das insbesondere vor dem Hintergrund der Diskussionen über die aktuelle Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Rolle der EZB. Diese Entscheidung hat natürlich für verschiedene Diskussionen gesorgt; der Außenminister hat darauf hingewiesen. Ich habe diesbezüglich zweierlei Sorge:

Einerseits sorge ich mich, wie EU-Skeptiker dieses Urteil interpretieren. Ich meine, Frau Miazga, der Auftritt, den Sie hier hingelegt haben, genügt in allem Ernst in keiner Hinsicht den fachlichen Ansprüchen, die man an ein Mitglied des Deutschen Bundestages stellen kann.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Widerspruch bei der AfD)

Herr Kleinwächter, Sie reden davon, Demokratie und Rechtsstaat müssten verteidigt werden. Sie fänden es schlimm, es wäre übergriffig hinsichtlich der Demokratie in den Mitgliedstaaten, über den Rechtsstaat zu reden. Da kann ich Ihnen nur sagen: Augen auf bei der Frage der Auseinandersetzung mit Geschichte. Gerade Sie sollten doch wissen, dass Demokratie nicht immer gleich Rechtsstaatlichkeit bedeutet.

(Norbert Kleinwächter [AfD]: Richtig! Das weiß die Merkel-Regierung selbst genau!)

Das haben wir in Deutschland schmerzlich gelernt. Eine demokratische Wahl führt noch nicht zu rechtsstaatlichen Inhalten. Deswegen müssen wir dort differenzieren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Gleichzeitig will ich auch sagen: Ich habe etwas Sorge bezüglich der Interpretation der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts durch große EU-Befürworter. Denn mancher hat interpretiert, die Karlsruher Entscheidung sei ein Angriff auf die Unionsrechte gewesen. Oder man hat gesagt, es würde dazu führen, dass sich falsche Freunde darüber freuen würden – Polen, Ungarn, die AfD vielleicht. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten diskutieren, dann müssen wir sagen: Was falsche Freunde denken, ist zuallererst ein politisches Argument, aber kein rechtsstaatliches Argument.

Deswegen will ich ausdrücklich sagen: Auf dem Hintergrund, dass die Mitgliedstaaten natürlich der wesentliche Träger des Staatenverbundes Europäische Union sind, muss für uns auch klar sein: Die nationalen Verfassungsgerichte haben nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, das Handeln ihrer mitgliedstaatlichen Organe in der Europäischen Union zu kontrollieren, die Übertragung von Hoheitsrechten zu kontrollieren. Deswegen müssen wir in dieser Situation sagen: Die Ultra-vires-Kontrolle und die Identitätskontrolle, wie sie das Bundesverfassungsgericht vornimmt, sind kein Angriff auf die rechtsstaatliche Ordnung der Europäischen Union, sondern dies sichert die rechtsstaatliche Ordnung in der Europäischen Union ab. Darauf sollten wir hinweisen.

Im Übrigen will ich noch etwas sagen.

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollege Amthor, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Sarrazin?

 

Philipp Amthor (CDU/CSU):

Gerne.

 

Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Kollege Amthor, Sie haben gerade gesagt, dass in der Frage der Interpretation des Verfassungsgerichtsurteils die politischen Folgewirkungen irrelevant seien. Jetzt sind wir Grüne sehr große Freunde des Verfassungsgerichts

(Lachen bei der AfD)

und akzeptieren sowieso alle Entscheidungen. Wir haben ja auch unsere Parlamentsrechte in Europafragen schon einmal vor Gericht durchgesetzt.

Dennoch möchte ich sagen: Das Verfassungsgericht Deutschlands hat sich in der Vergangenheit über die Entmachtung der unabhängigen Justiz in Polen explizit besorgt gezeigt und hat dies auch mit Briefen nach Polen belegt. Ich finde, dass man von denselben Richtern erwarten kann, dass sie in ihre Entscheidung die mögliche Reaktion der Architekten der polnischen Justizreform auf dieses Urteil einberechnen, die nämlich ihre Linie bestätigt sehen, dass der EuGH keine Prüfungskompetenz darüber hätte, ob das Richterdisziplinierungsgesetz, das die PiS verabschiedet hat, überhaupt Geltung haben kann oder nicht.

Ich denke, dass wir, ohne das Gericht zu kritisieren, unserem Verfassungsgericht schon zumuten können, diese Folgewirkungen bei seinem Agieren – gerade vor dem Hintergrund seiner überwältigenden Relevanz für uns und auch für Europa – mit einzubeziehen. Sehen Sie das nicht auch so?

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

 

Philipp Amthor (CDU/CSU):

Herr Kollege Sarrazin, ich will Ihnen ausdrücklich sagen: Natürlich! – Ich habe nie gesagt, dass dieses Urteil nicht ohne politische Relevanz wäre. Aber wir sollten sehen, welche Orte zur Diskussion von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit wo sind. Der Ort der politischen Debatte ist der Deutsche Bundestag. Der Gerichtssaal in Karlsruhe ist der Ort der Erörterung von Verfassungsrecht. Auf diesem Hintergrund finde ich die Karlsruher Entscheidung überzeugend und konsequent. Ich sehe sie eher noch als Aufforderung an uns, das, was Sie gesagt haben, noch selbstbewusster zu tun, nämlich unserer Mitwirkung im europäischen Diskurs auch über Rechtsstaatlichkeit nachzukommen.

Deswegen ist die Karlsruher Entscheidung aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden. Aber sie ist auch ein Appell an uns für politische Mitwirkung. Ich will deutlich sagen: In der Art und Weise und in der Tonlage, wie mancher das Bundesverfassungsgericht kritisiert hat, sollten wir alle vielleicht mal einen Schritt zurückgehen und klarstellen: Es gibt für die Rechtsstaatlichkeit in Europa größere Gefahren als das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Bei der Frage, wie wir mit diesen Gefahren umgehen – das habe ich schon gesagt –, werden in den Anträgen der Grünen und der FDP gute und konstruktive Vorschläge gemacht. Einen permanenten Peer-Review-Mechanismus und die Idee der Venedig-Kommission, also ein Expertengremium, auch auf den Diskurs des europäischen Verfassungsrechts und auf eine europäische Institution zu übertragen, das finde ich sinnvoll.

Deswegen ist es auch richtig, Herr Minister Maas, dass wir darauf hingewiesen haben, dass dieses Thema natürlich auch im Rahmen unserer Ratspräsidentschaft eine große und herausragende Rolle spielen sollte. Genau in dem Geiste der Europapolitik, wie wir sie betreiben sollten, ist es auch unsere Verantwortung als Parlament, diese neuen funktionierenden Rechtsstaatsmechanismen einzufordern. Da stehen wir an der Spitze der Bewegung. Das wird uns als Parlament weiter beschäftigen. Wir werden dafür arbeiten in einem klugen Prozess, in dem die verschiedenen Interpreten des Verfassungsrechts, des Rechtsstaates gefordert sind, sich einzubringen. Genau das bringen wir als Regierungskoalition voran. Das ist unsere Aufgabe, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)