Skip to main content

Nikolas Löbel: Wir müssen beide Seiten daran erinnern, sich an den INF-Vertrag zu halten

Rede in der aktuellen Stunde zum INF-Vertrag

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Dieser INF-Vertrag aus dem Jahr 1987 ist eine historische Errungenschaft. Ich bin Jahrgang 1986. Ich kann mich an die Debatten über den NATO-Doppelbeschluss und an die ganzen Aufrüstungsdebatten gar nicht erinnern. Ich kenne sie nur aus dem Geschichtsbuch. Aber ich bin froh, dass dieser INF-Vertrag 1987 der Meilenstein für den Einstieg in den Ausstieg aus der Aufrüstung war.

Heute folgt wahrscheinlich ein nächster Meilenstein, weil die Amerikaner angekündigt haben, aus dem INF-Vertrag aussteigen zu wollen. Liebe Frau Kollegin Dağdelen, Sie haben vorhin gesagt: Was damals möglich war, müsste doch auch heute wieder möglich sein. – Damals war das möglich, weil der Wille auf beiden Seiten da war, gemeinsam abzurüsten. Dieser Wille ist nicht einseitig aufgebraucht. Vielmehr müssen wir beide Seiten daran erinnern, dass sie den Willen aufbringen müssen, sich an diesen INF-Vertrag zu halten.

Damit sind wir beim nächsten Punkt, Ihrem Vorwurf, wir würden bzw. die Bundesregierung würde den Amerikanern blind Gefolgschaft leisten. Ich fordere Sie auf, erst einmal Ihre blinde Gefolgschaft gegenüber Wladimir Putin und Russland zu überdenken.

(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das ist doch Quatsch!)

Denn es war nachweislich Russland, das gegen den INF-Vertrag verstoßen hat. Das ist die Ursache für die heutige Ankündigung der USA, aus dem Vertrag auszusteigen, und nichts anderes.

(Beifall bei der CDU/CSU – Roderich Kiesewetter [CDU/CSU]: Frau Dağdelen fehlt!)

– Man wird ihr meine Grüße bestimmt ausrichten.

Es geht aber nicht nur darum. Herr Kollege Nouripour, Sie haben gerade richtigerweise gesagt, Vertrauen sei verloren gegangen. Dieser Vertrag war aufgebaut auf gegenseitigem Vertrauen. Dieses Vertrauen ist verletzt worden. Nicht erst Donald Trump in einer gewissen intellektuellen Kürze, sondern schon sein Vorgänger Barack Obama hat seit 2014 darauf hingewiesen, dass Russland gegen den INF-Vertrag verstößt. Erst 2018 haben die Russen stückchenweise zugestanden, dass es eine neue Mittelstreckenrakete gibt. Sie haben sich dann auf Detailfragen eingelassen, zum Beispiel, dass die Rakete weniger als 500 Kilometer Reichweite hat und damit keinen Verstoß gegen den Vertrag bedeutet.

Was die Russen aber nicht getan haben, ist, sich auf die notwendige Schaffung von Transparenz einzulassen. Wo ist denn die Transparenz? Wo war sie denn in den letzten 60 Tagen, als Angela Merkel nochmals eine Verhandlungsverlängerung herausgeholt hat? Wo war denn die notwendige und versprochene Transparenz, dass man sich dieses neue Waffensystem SSC-8 einmal anschauen konnte? Es wurde keine Transparenz geschaffen. Ohne Transparenz gibt es aber kein Vertrauen, und das ist der eigentliche Grund für die Aufkündigung dieses Vertrages.

Was wir jetzt brauchen, ist Folgendes: Wir müssen diese Sechs-Monats-Frist, die noch bleibt, nutzen; denn es geht um viel. Es geht um den Kernbestandteil der internationalen Sicherheitsstruktur. Es geht um die Abrüstungskontrolle, die wir auf neue Füße stellen müssen. Wir müssen diesen Vertrag erhalten. Ich glaube schon, dass einer der Gründe, warum Russland diesen Vertrag infrage stellt und wieder aufrüsten will, ist, dass andere Länder nicht an diesen Vertrag gebunden sind: China, Pakistan, der Iran. Wir müssen für eine Erweiterung des INF-Vertrages sorgen. Man würde wahrscheinlich sagen: einen INF-Vertrag 4.0. Aber ein einseitiger, ein bilateraler Vertrag zwischen Russland und Amerika ist nicht mehr zeitgemäß. Wir müssen diesen Vertrag erhalten, aber wir müssen ihn auch erweitern.

Einerseits geht es in den nächsten sechs Monaten darum, dafür die Basis zu schaffen. Andererseits ist aber auch klar, dass wir uns Gedanken machen müssen über die Frage: Was tun wir eigentlich, wenn die sechs Monate erfolglos verstrichen sind?

Es ist richtig, sich an die Historie zu erinnern. Dieser INF-Vertrag kam nur durch gegenseitige Stärke und Verhandlungen auf Augenhöhe zustande. Deswegen dürfen wir von Beginn an keine Optionen vom Tisch wischen, sondern wir müssen dafür Sorge tragen, dass wir als NATO geschlossen agieren. Wir dürfen uns nicht auseinanderdividieren lassen, sondern es braucht ein geschlossenes Handeln, aber auch eine entschlossene Antwort auf ein mögliches Stationieren neuer Mittelstreckenraketen durch Russland und die NATO. Deswegen müssen wir auch den Russen deutlich machen, wo wir die Stationierung solcher Mittelstreckenraketen nicht dulden: Stichwort Kaliningrad und andere.

Deswegen ist es wichtig, dass wir diese Frist von sechs Monaten nutzen, um die NATO zu stärken und, möglicherweise auch nach diesen sechs Monaten, geschlossen und entschlossen eine Antwort zu geben; denn die Hoffnung, dass der INF-Vertrag innerhalb dieser sechs Monate bestehen bleibt, ist das eine. Aber dass vielleicht diese sechs Monate verstreichen und wir auch danach weiterarbeiten müssen, sodass es zu einem neuen INF-Vertrag kommt, ist das andere. Dies sollten wir nicht von Beginn an vom Tisch wischen, indem wir mögliche Optionen außen vor lassen.

Wir nutzen diese Zeit auch als Mitglied des UN-Sicherheitsrates. Wir haben uns auf die Fahne geschrieben, dass wir die Abrüstung in den Mittelpunkt unseres Ratsvorsitzes stellen wollen – gemeinsam mit Frankreich. Das ist das einzig Richtige, was wir in dieser Situation tun können. Nutzen wir unsere Verantwortung; denn der INF-Vertrag ist der Meilenstein für die Sicherheit in Europa und damit auch für Deutschland. Insoweit sollten wir unserer Verantwortung gerecht werden.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)