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Michael Brand: Das Auswärtige Amt bindet die Betroffenen und Experten zu wenig bis gar nicht ein

Haushaltsgesetz 2018 - Auswärtiges Amt

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute bei den Beratungen zum Einzelplan des Auswärtigen Amtes viel über Haushaltstitel und -kapitel gesprochen. Ich möchte über ein besonderes Kapitel der auswärtigen Politik sprechen, das der frühere Außenminister und heutige Bundespräsident Steinmeier im April 2016 wie folgt qualifiziert hat: „Kein Ruhmesblatt in der Geschichte des Auswärtigen Amtes“.

(Der Redner hält einen Zeitungsartikel hoch)

Ich zitiere aus der Rede:

Über viele Jahre hinweg, von den sechziger bis in die achtziger Jahre haben deutsche Diplomaten bestenfalls weggeschaut – jedenfalls eindeutig zu wenig für den Schutz ihrer Landsleute in dieser Kolonie getan. Auch später – als die Colonia Dignidad aufgelöst war und die Menschen den täglichen Quälereien nicht mehr ausgesetzt waren – hat das Amt die notwendige Entschlossenheit und Transparenz vermissen lassen, seine Verantwortung zu identifizieren und daraus Lehren zu ziehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Deutsche Bundestag hat spät, aber er hat Lehren gezogen und vor genau einem Jahr einen Beschluss gefasst, und zwar erstmals bei diesem brutalen Thema mit Stimmen aller Fraktionen im Hohen Haus. Die Bundesregierung wird darin aufgefordert, nach dem Bekenntnis zur moralischen Mitverantwortung den Worten nun Taten folgen zu lassen. Es geht um Aufarbeitung, Dokumentation und vieles mehr. Ein zentraler Punkt des Bundestagsbeschlusses ist die Vorlage eines Hilfskonzepts für konkrete Hilfsleistungen bis zum 30. Juni dieses Jahres. Die Einrichtung eines Hilfsfonds ist darin als eine Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Ein Jahr hat das Parlament der Regierung Zeit gegeben, um etwas Vernünftiges vorzulegen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das, was wir jetzt auf fünf Seiten bekommen haben, das hat mich – das muss ich ehrlich sagen – sprachlos, auch zornig gemacht.

(Beifall des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das Auswärtige Amt hat aus einem Auftrag des Deutschen Bundestags, einen Akt der moralischen und materiellen Wiedergutmachung zu entwickeln, ein kaltes und zynisches Bürokratenpapier gemacht, das vor allem ein Ziel hat: Nur kein Geld ausgeben!

Herr Außenminister Maas, das geht nicht. Das machen wir nicht mit. Das ist im Übrigen dezidiert auch nicht das, was der Deutsche Bundestag vor einem Jahr beschlossen hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der LINKEN)

Es widerspricht eklatant dem Geist und dem Text der Entschließung des Parlaments. Der Entwurf ist nicht nur beschämend für Deutschland; er ist vor allem zynisch gegenüber den Opfern.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsident Thomas Oppermann:

Herr Brand, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Michael Brand (Fulda) (CDU/CSU):

Wo ist denn eine? – Ja, gern.

Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD):

Herr Kollege Brand, gehe ich recht in der Annahme, dass Sie sich in Ihren Ausführungen etwas widersprochen bzw. versprochen haben, als Sie von einer Stellungnahme und einem Bericht des Auswärtigen Amts ausgegangen sind? Ich bin mit Ihnen einer Meinung, dass der Deutsche Bundestag den Auftrag hat, die Opfer der Colonia Dignidad entsprechend auch finanziell zu unterstützen, wie wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten dies wollen. Aber der Bericht, der vorgelegt wurde, ist kein Bericht des Auswärtigen Amts, sondern unserer Bundesregierung, der wir, die Unionsfraktion und die SPD-Fraktion, den Auftrag erteilt haben, und kein Bericht des Auswärtigen Amts. Haben Sie sich also insoweit versprochen?

Michael Brand (Fulda) (CDU/CSU):

Überhaupt nicht, weil die Koordinierung natürlich im Auswärtigen Amt liegt. Daher ist der Bericht auch vom Auswärtigen Amt an den Bundestagspräsidenten gegangen, bis zum 30. Juni.

Sie haben recht: Das ist ein Konzept der Bundesregierung. Deswegen habe ich auch darauf hingewiesen, dass das Parlament der Bundesregierung den Auftrag gegeben hat. Insofern widerspricht sich das überhaupt nicht. Es trifft die ganze Bundesregierung.

Aber man muss natürlich sagen – ich habe Ihnen das eben auch gezeigt –: Es war eine beeindruckende Rede von Frank-Walter Steinmeier; auch viele von den Kollegen waren dabei. Er hat mit der Legende aufgeräumt, dass man nichts gewusst habe, und er hat von keinem Ruhmesblatt in der Geschichte des Auswärtigen Amtes gesprochen. Deswegen hat das Auswärtige Amt natürlich eine besondere Verantwortung. Dass ausgerechnet nach dieser Rede ein solcher fünfseitiger Bericht zu uns kommt, mit Vorschlägen, bei denen das Entscheidende fehlt, hätte ich, Herr Kollege Brunner, ehrlich gesagt, nicht für möglich gehalten, und das hat mich auch sprachlos gemacht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich will Ihnen auch sagen: Mit ein paar Workshops, ein paar Einladungen, zehn Betten für ein Pflegeheim – das steht in diesem Konzept – konterkariert das Auswärtige Amt selbst die sehr beachtenswerte Rede des seinerzeitigen Außenministers. Das jahrelange Wegschauen gerade des Auswärtigen Amtes gegenüber Folter, Vergewaltigung, Mord, Entführung, Zwangsadoptionen und Zwangsarbeit hat Herr Steinmeier deutlich benannt.

Dieses Parlament hat immer klargemacht, dass es neben der wichtigen Aufarbeitung sowie konkreter Unterstützung wie Beratung und psychosozialer Betreuung auch konkrete Geldzahlungen an die Opfer geben muss. Das ist der deutsche Staat den Menschen schuldig. Es ist doch unerträglich – lieber Kollege Brunner, auch das gehört zur Wahrheit dazu –, dass sogar Haupttäter bis heute weitgehend unbehelligt in Deutschland leben, während die Opfer, die ihr Leben lang Zwangsarbeit leisten mussten, ziemlich alleine gelassen werden.

Lieber Herr Maas, ich will mich direkt noch mal an Sie wenden: Ich kann mir auch wirklich nicht vorstellen, dass Sie das Thema kaltlässt. Umso mehr hat mich ja dieser Bericht überrascht; wir haben darüber gesprochen. Aber ich möchte Sie auffordern, Herr Außenminister, und von Herzen darum bitten, sich mit Empathie den Opfern zuzuwenden. Laden Sie die Opfer doch bitte zu einem direkten Gespräch ein, hören Sie ihnen zu!

Denn meine Erfahrung der vergangenen zwölf Monate ist – wir haben es eng begleitet vom Parlament –: Das Auswärtige Amt bindet die Betroffenen und Experten bei diesem Thema zu wenig bis gar nicht ein. Ansonsten ist es doch auch gar nicht zu erklären, dass ein solches Papier vorgelegt worden ist und dass ein komplettes Jahr fast vertan worden ist.

Die Hoffnungen von Geknechteten, die eigentlich schon gar keine Hoffnung mehr auf eine Geste des deutschen Staates hatten, sind in diesen Tagen bitter enttäuscht worden. Nach all dem Wegsehen, dem Versagen, dem Leugnen, der Klarstellung durch Frank-Walter Steinmeier, dem einstimmigen Beschluss des Deutschen Bundestages schließt die Bundesregierung in ihrem aktuellen Papier ausdrücklich – ich zitiere das – „Individualmaßnahmen, insbesondere Geldzahlungen an Einzelpersonen“ aus. Ich finde, es ist eine Schande. Es ist auch eine himmelschreiende Ungerechtigkeit. Das darf und das wird so nicht bleiben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Maas, Ihre beiden Vorgänger, Minister Steinmeier und Gabriel, haben eine politische Verantwortung Deutschlands eingestanden. Das eingestehen von moralischer Verantwortung ist aber nichts wert, wenn weiter auf Zeit gespielt wird und Geldzahlungen verhindert werden. Wenn es nicht zeitnah zu konkreten Hilfen kommt, sind auch noch die letzten Opfer tot.

Wir sprechen, liebe Kolleginnen und Kollegen, von 300 Menschen, 100 Menschen in Deutschland, 100 Menschen in der früheren Colonia Dignidad, in der heutigen Villa Baviera, und 100 Menschen in Chile. Auch in Deutschland gibt es Fälle, wo Menschen lebenslang Zwangsarbeit – 7 Tage die Woche, 16 Stunden am Tag – geleistet haben, die heute zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel haben.

Hier besteht dringender Handlungsbedarf nach Jahrzehnten des Nichtstuns. Darüber sind sich alle Fraktionen im gemeinsamen Beschluss einig. Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Haushalt 2019 müssen konkrete Summen zur Verfügung gestellt werden, damit es den geforderten Hilfsfonds für die Opfer gibt, der selbstverständlich auch individuelle Zahlungen vorsieht. Ich bitte Sie alle herzlich, dabei mitzuhelfen.

(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)