Skip to main content

Manfred Grund: Es gibt ein Menschenrecht auf ein selbstbestimmtes und friedliches Leben in seiner angestammten Heimat

Redebeitrag in der aktuellen Stunde zur Friedenslösung für Bergkarabach

Herr Präsident! Zunächst von dieser Stelle, von unserem Parlament aus gute Wünsche, Friedenswünsche für die Menschen in Bergkarabach, in Armenien, aber auch in Aserbaidschan, und dass sie eine bessere Nachbarschaft bekommen, als sie sie in den letzten 100 Jahren gehabt haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Meine Damen und Herren, es gibt Geschichte, die sich wiederholt, und es gibt Völker, es gibt Nationen, für die sich Geschichte in besonders tragischer Weise wiederholt. Auch für die Menschen in Armenien, für die Armenier in Bergkarabach und für die armenische Diaspora wiederholt sich eine fürchterliche Geschichte. Armenier werden aus ihrer angestammten Heimat vertrieben, und wer nicht rechtzeitig davonkommt, wird ermordet, wird bombardiert – auch mit Streubomben –, von Drohnen beschossen oder sogar enthauptet. Verwundete können nicht behandelt werden; Frauen und Kinder sind die größte Opfergruppe. Und wie immer in ihrer Geschichte sind die Armenier auf sich allein gestellt. Die Welt, auch die sich „zivilisiert“ nennende Welt, schaut weg, wie schon 1915 beim Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich oder wie bei unzähligen Pogromen davor und auch danach.

Wir reden heute von Krieg in Bergkarabach und von der Vertreibung der Armenier aus einer Region, in der nachweislich seit mehr als 2 000 Jahren armenische Zivilisation und Kultur zu finden sind. Dieses Bergkarabach ist eine grüne Oase im Südkaukasus, landschaftlich erinnert es an Mittelitalien.

Wir sind nicht Partei und auch nicht Schiedsrichter in diesem langen Konflikt. Wir sind weit weg, leider auch emotional. Meine Damen und Herren, es gibt wohl fernes Leid, aber es gibt kein fremdes Leid. Wir haben Mitleid mit den Menschen in Karabach, mit den zivilen und militärischen Opfern. Ich füge hinzu: Auch das Leid der vor 30 Jahren aus ihrer Heimat geflüchteten oder vertriebenen Aserbaidschaner berührt uns und macht uns traurig, und wir verurteilen die Gewalt, die von beiden Seiten gegen Zivilisten ausgeht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Nun wird sehr oft das Völkerrecht strapaziert mit dem Hinweis, dass Karabach sich innerhalb der völkerrechtlich anerkannten Grenzen Aserbaidschans befindet. Das soll auch nicht infrage gestellt werden. Wer sich allerdings zur staatsrechtlichen Verortung in die Geschichte begibt – einige haben das ausgeführt –, wird auf viele Ungereimtheiten stoßen, so auf Stalins handstreichartige Zuordnung von 1921. Für eine weiter gehende Abwägung zwischen Völkerrecht und dem Selbstbestimmungsrecht der Völker fehlt hier die Zeit. Doch so viel Zeit bleibt: Krieg und Terror sind der schlimmste Verstoß gegen das Völkerrecht, und es gibt ein Menschenrecht auf ein selbstbestimmtes und friedliches Leben in seiner angestammten Heimat.

Wie aber geht es weiter? Möglich, dass in wenigen Wochen alle Armenier aus Karabach vertrieben sind. Wahrscheinlich aber werden sie sich verteidigen, in Höhenzügen eingraben und sich nicht vertreiben lassen. Aserbaidschan will Fakten schaffen. Aber Frieden kann nicht herbeigebombt werden, und eine nachbarschaftliche Perspektive entsteht so auch nicht. Jede Granate auf Karabach legt die Saat für den nächsten Krieg.

Herr Außenminister, wir unterstützen Sie in Ihren Bemühungen, dass alles getan werden muss, dass beide Konfliktparteien der Überwachung eines Waffenstillstandes durch eine massive Präsenz der OSZE vor Ort zustimmen. Es gilt, eine Lösung zu finden, die sowohl Aserbaidschans berechtigtem völkerrechtlichem Interesse an territorialer Integrität als auch dem Selbstbestimmungsrecht der Menschen, der Bevölkerung in Bergkarabach Rechnung trägt. Land gegen Frieden? Land gegen Selbstbestimmung? Dieser Austausch und ein Abkommen darüber müssen von der Weltgemeinschaft und von Friedenstruppen garantiert werden.

Und wir? Wir sollten zumindest unseren Fehler von 1915 nicht wiederholen, das Unrecht zu beschweigen. Wir sollten Unrecht auch als solches bezeichnen und sanktionieren. Und wir sollten schon heute eine Geberkonferenz zum Wiederaufbau Bergkarabachs initiieren. Wir sind aufgerufen, alles zu tun, damit sich Geschichte nicht wiederholen muss; denn auch wir haben von 1915 her etwas wiedergutzumachen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD)