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Manfred Grund: Ein einheitlicher Standpunkt ist zwingend notwendig

Sicherheitsgesetz für Hongkong

Vielen Dank. – Herr Präsident! – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Zuschauer vor den Fernsehgeräten! Ich möchte diese Hongkong-Debatte nutzen, um der Frage nachzugehen: Wie geschlossen, wie einig ist die Europäische Union im Umgang mit der Volksrepublik China? Und ich will eine verpasste Chance ansprechen.

Zum Ersten. Im Mai 2016 fand in Peking eine Konferenz statt, an der Vertreter europäischer Parteien teilgenommen haben, so aus Bulgarien der frühere Ministerpräsident Stanischew und aus Rumänien mit Victor Ponta ebenfalls ein vormaliger Ministerpräsident. In seinem Redebeitrag sagte Victor Ponta: Während die EU schläft, handelt China, und wir sind gern bei denen, die etwas tun. – Mit dieser Meinung ist Victor Ponta in den Ländern Süd- und Osteuropas nicht allein: Die EU tue zu wenig, sie investiere zu wenig, sie sei zu träge und überbürokratisiert. Deswegen setzt man dort auch weniger auf EU-Aktivitäten, sondern jeder andere, der Investments anbietet, der die Infrastruktur verbessert, ist willkommen, wird vorbehaltlos begrüßt, auch wenn die Geschlossenheit der EU-Staaten dadurch Risse bekommt und Schaden nimmt.

Neben Bulgarien und Rumänien haben sich noch andere europäische Staaten zu dem Format „17 plus 1“ zusammengefunden: 17 Staaten aus Ost- und Südeuropa, „plus 1“ ist die Volksrepublik China. Zuletzt ist Griechenland dieser Initiative beigetreten. „Plus 1“ ist also nicht die EU. Auch wenn bei diesem Format nicht alle Bäume in den Himmel wachsen, die Volksrepublik China nicht alle Erwartungen erfüllen kann, so entsteht doch das Bild einer gespaltenen Europäischen Union, die trotz ihrer neuen Konnektivitätsstrategie, trotz einer veränderten EU-China-Strategie bisher keinen gemeinsamen, keinen einheitlichen Standpunkt gefunden hat.

Ein einheitlicher Standpunkt, ein gemeinsames Handeln wäre auch in der Zeit von Corona und bei möglichen Vertragsverletzungen wie in Hongkong zwingend und notwendig. Aber auch in der Coronapandemie war die EU weder federführend noch koordinierend, und statt sich auf Brüssel zu verlassen, haben Staaten wie Italien in China um Hilfe nachgesucht und diese von der Volksrepublik auch bekommen. In anderen Politikbereichen sieht es nicht besser aus: Gemeinsame EU-Strategie beim 5G-Ausbau? Fehlanzeige. Gemeinsame Reaktion auf die Seidenstraßeninitiative? Fehlanzeige. Fehlanzeige auch beim Thema Marktzugang/Marktöffnung.

Dabei bräuchten aber die EU-Staaten Klarheit und nach Möglichkeit Einigkeit in ihrer Beziehung zur Volksrepublik China. Denn die Volksrepublik – das ist mehrfach angesprochen worden – vertritt ihre wirtschaftlichen und politischen Interessen heute viel konsequenter als noch vor 20 Jahren. Der ökonomische, politische und militärische Aufstieg Chinas ist übergegangen in einen Systemwettbewerb zwischen den USA und der Volksrepublik, übergegangen in einen Wettbewerb um eine neue Weltordnung und um die globale Führungsrolle darin. Beim Aufstieg des einen und beim möglichen Rückzug des anderen droht ein weltweiter Ordnungs- und Sicherheitsverlust, und, meine Damen und Herren, weder die Europäische Union noch wir sollten dabei zum Kollateralschaden werden.

Wozu Uneinigkeit führen kann, will ich im Punkt zwei, verpasste Chancen, ansprechen. Es geht mir um das gescheiterte Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA; es geht um TTIP. TTIP war die letzte Chance, unter Führung der wichtigsten, der größten liberalen Marktwirtschaften EU und USA verbindliche technische, menschenrechtliche und regulatorische Standards zu setzen, Standards bei der Digitalisierung, beim Einsatz künstlicher Intelligenz, beim Arbeitsschutz, bei Industrie und Handel, beim Zoll, beim Umweltschutz und bei der Transparenz. Diese Chance ist vertan; TTIP ist gescheitert, gescheitert auch an der Ablehnung in der deutschen Öffentlichkeit und der Uneinigkeit in der Europäischen Union:

(Roman Müller-Böhm [FDP]: Was hat das mit Hongkong zu tun?)

vorbei, vorüber, nie wieder.

Nicht wir setzen die Standards, andere gehen in die Lücke, wie etwa die Volksrepublik China. Das ist den Chinesen nicht vorzuwerfen. Der Vorwurf geht an uns;

(Roman Müller-Böhm [FDP]: Hongkong!)

denn wenn wir weltpolitisch ernst genommen werden wollen, müssen wir besser werden. Wir müssen auch schneller werden. Zuallererst aber muss sich die EU gegenüber der Volksrepublik China zu einer einheitlichen Positionierung zusammenfinden, um dann gemeinsam mit der Volksrepublik China über Menschenrechte und die Verbindlichkeit internationaler Verträge zu reden. Dazu wäre, meine Damen und Herren, das geplante EU-China-Gipfeltreffen im September in Leipzig eine gute Gelegenheit.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – [Roman Müller-Böhm [FDP]: Hongkong!)