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Jürgen Hardt: Der Besuch ist tatsächlich die Chance für eine Wende in den deutsch-türkischen Beziehungen

Erosion des Rechtsstaats in der Türkei stoppen

Danke schön. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Verlauf der Debatte wie auch die Beifallsbekundungen über die Grenzen der Fraktionen hinweg zeigen, dass wir als Demokraten eigentlich schon einen klaren Kompass, eine klare Haltung zur gegenwärtigen Situation in der Türkei haben. Das, finde ich, ist gut so.

Ich finde gut, dass Erdogan nach Deutschland kommt. Die Ehre eines Staatsbesuchs bedeutet die Ehrerweisung des deutschen Volkes gegenüber dem türkischen Volk – in erster Linie verstehe ich das so –, und es gehört zu den Gepflogenheiten, dass wir uns wechselseitig diese Ehre erweisen. Deswegen nehme ich keinen Anstoß an der Form des Besuches. Dass die Möglichkeiten, kritische Themen einzubringen, die wir gegenüber der Türkei ansprechen wollen und müssen, durch die Form des Besuches nicht beeinträchtigt werden und wir gleichwohl vielfältige Gelegenheiten haben, diese Dinge vorzutragen, das finde ich wichtig. Das hat mit der Form des Besuches nichts zu tun.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich glaube, dass dieser Besuch tatsächlich die Chance für eine Wende in den deutsch-türkischen Beziehungen ist und dass der Schlüssel dazu ganz eindeutig bei Präsident Erdogan liegt. Die Türkei muss sich zurückbesinnen auf die von ihr freiwillig mitunterschriebenen europäischen Werte von Unabhängigkeit der Justiz, Pluralismus, individueller Freiheit, Freiheit der Medien. Das sind die Statuten des Europarates. Die Türkei ist seit dem ersten Jahr der Gründung des Europarates Mitglied. Es gibt also eine ganz einfache Basis, auf die die türkische Politik zurückkehren kann.

Wir haben in den letzten Jahren in Reden von Erdogan in der Türkei immer wieder gehört, dass die Europäische Union die Türkei ja eigentlich gar nicht wolle und dass deswegen die Türkinnen und Türken darauf angewiesen seien, sich auf Erdogan und die AKP zu verlassen, wenn es um ihre Zukunft gehe. Dies ist eine Legende, die Erdogan vielleicht auch deshalb erzählt, weil jemand, der so regiert wie er, letztlich selbst am meisten Angst davor haben muss, dass die Europäische Union eines Tages möglicherweise dichter an die Türkei heranrückt. Das würde nämlich bedeuten: Kopenhagener Kriterien, Unabhängigkeit der Gerichte, Pluralismus, Demokratie, Meinungsfreiheit. Wer so regiert wie Präsident Erdogan, muss befürchten, dass unter diesen Bedingungen eines Tages der Staatsanwalt vielleicht auch bei ihm zu Hause anklopft und nachsieht, was dort so alles ist. Deswegen glaube ich, dass die Legende, die er erzählt, Europa wolle die Türkei nicht, in Wirklichkeit sein Programm ist, damit er selbst nicht zu dicht mit den europäischen Werten konfrontiert wird.

Deswegen bin ich auch dagegen, dass wir als Europäische Union unsererseits die Zugbrücke hochziehen und die Beitrittsverhandlungen abbrechen. Der gegenwärtige Status ist: Die Beitrittsverhandlungen sind eingefroren. Aber alle Türkinnen und Türken sollen wissen: Wir werden unsererseits die Brücken nicht abbrechen, unsere Hand bleibt ausgestreckt für eine freie und demokratische Türkei.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Ist die CDU jetzt für den Beitritt?)

Ich möchte nun etwas zu dem Programmpunkt von Präsident Erdogan am Samstag in Köln sagen. Ich fände es falsch, wenn wir unsererseits einen solchen Auftritt verbieten würden; denn dann würden wir nämlich genau das tun, was wir Erdogan vorwerfen, was er in seinem eigenen Land tut. Bei uns sind die Meinungsfreiheit und das Recht, freie Rede zu führen, ein hohes Gut. Deswegen ist es okay, dass er dort spricht. Ich möchte aber die Türkinnen und Türken, die bei diesem Besuch dabei sind, schon daran erinnern, dass wir in Deutschland gerade in solchen Dingen eine Toleranz und Freiheit und Offenheit präsentieren, die derjenige, den sie vielleicht bewundern, den sie bei den letzten Wahlen vielleicht auch gewählt haben, in seinem eigenen Land seinen Mitbürgerinnen und Mitbürgern vorenthält, und dass dies ein offener Widerspruch ist. Ich muss mich als Unterstützer Erdogans, der hier in Deutschland lebt, schon fragen lassen, warum ich in Deutschland diese Freiheitsrechte schätze und in Anspruch nehme, mich aber nicht dafür einsetze, dass sie auch in der Türkei zur Geltung kommen. Ich glaube, über dieses Thema sollten wir im Zusammenhang mit dem Auftritt Erdogans in der Kölner Moschee am Samstag sprechen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich würde mir auch wünschen, dass Erdogan die politischen Gefangenen freilässt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich denke speziell an die deutsch-türkischen Journalisten, die in der Türkei in Haft sitzen. Ich nenne sie „politische Gefangene“, weil sie nach unseren rechtsstaatlichen Maßstäben nicht aufgrund von richterlichen Entscheidungen oder nach Vorlage entsprechender Anklagen rechtmäßig im Gefängnis sitzen, sondern zum Teil bereits über viele Monate ohne gerichtliche Entscheidung durch eine unabhängige Justiz. Der Staat, die Exekutive, nimmt hier ein Recht in Anspruch, das ihm nicht zusteht. Deswegen fordere ich die Freilassung dieser politischen Gefangenen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)