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Gunther Krichbaum: Die Grundwerte sind das Fundament unseres vertrauensvollen Zusammenlebens in der Europäischen Union

Rede zur Europäischen Grundwerteinitiative

Vielen Dank. – Herr Präsident! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zurück zum Thema und zur Sachlichkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Es ist sehr gut, dass wir uns heute mit den Themen Grundwerte und Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union auseinandersetzen. Das Bekenntnis aller Mitgliedstaaten hierzu müsste eigentlich eine pure Selbstverständlichkeit sein. Schließlich verlangen wir dies vor dem Beitritt in die EU, nicht zuletzt in den Kopenhagener Kriterien. Damit ist ein jeder Staat in der EU auch ein Vorbild gegenüber den Staaten, die den Beitritt in die EU erst begehren.

Der Webfehler unserer Europäischen Verträge liegt aber darin, dass wir nie davon ausgegangen waren, dass ein Staat nach seinem Beitritt exakt die Prinzipien infrage stellt, die den Beitritt erst ermöglichten. Das erklärt, warum der Instrumentenkasten in unseren Verträgen so leer ist. Es gibt das sogenannte Artikel-7-Verfahren, das auf einen Stimmrechtsentzug hinausläuft. Das heißt, der entsprechende Staat sitzt nur noch vorne am Katzentisch. Aber das Problem liegt bei der erforderlichen Einstimmigkeit bei der Feststellung einer Verletzung. Damit sind die Hürden sehr hoch und das Verfahren sehr sperrig. Wir haben natürlich noch die Möglichkeit sogenannter Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof; aber das war es dann auch schon.

Fakt ist, dass die Grundwerte das Fundament – das haben Sie, Herr Außenminister Maas, schon angesprochen – unseres vertrauensvollen Zusammenlebens in der Europäischen Union sind. Es geht um Frieden, um Freiheit, um Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Solidarität.

Gerade die Rechtsstaatlichkeit setzt Gewaltenteilung voraus: zwischen Legislative, Exekutive und Judikative. Checks and Balances: der Respekt der Gewalten voreinander und untereinander. Genau dies erscheint aber in manchen Ländern unter die Räder zu geraten.

In Polen beispielsweise: Hier ist die Unabhängigkeit der Justiz nicht mehr gewährleistet, wenn das Verfassungsgericht nur noch mit regierungstreuen Richtern besetzt ist.

In Ungarn beispielsweise, wenn, wie kürzlich geschehen, der Premierminister sich sozusagen unter dem Label der Coronapandemiebekämpfung alle Vollmachten geben lässt, und zwar unbegrenzt, unlimitiert und noch dazu garniert mit einem Gesetz, das unter Strafe stellt, wer Falschnachrichten verbreitet oder die Bevölkerung durch „schlechte Nachrichten“ beunruhigt. Das ist ein Damoklesschwert für alle Journalisten, aber natürlich auch für die Opposition.

In Malta beispielsweise: Dort wurde 2017 die Journalistin Caruana Galizia durch ein Bombenattentat ermordet. Im November 2019 wurde dann bekannt, dass die Täter 150 000 Euro aus Regierungskreisen erhielten.

In der Slowakei beispielsweise: Dort wurde am 21. Februar 2018 Jan Kuciak ermordet. Er recherchierte über Verfilzungen zwischen Politik und Geschäftemachern.

Beispielsweise lange Zeit in Rumänien, wo eine mittlerweile abgewählte Regierung in Korruptionsvorwürfen erstickte. Hunderttausende vorwiegend junge Menschen demonstrierten auf den Straßen und in den Straßen; so im Übrigen auch in der Slowakei. Das ist ermutigend und wäre vielleicht ohne eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union gar nicht möglich gewesen. Aber das reicht nicht aus. Europa braucht hier stärkere Einwirkungsmöglichkeiten, bessere Instrumente, stärkere Hebel.

Um es vorneweg klar zu sagen: Dabei handelt es sich nicht um die Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates. Im Gegenteil: Vielmehr geht es um die Garantie von Grundrechten und Grundwerten; denn die Menschen sind nicht nur Bürger des betroffenen Staates; sie sind auch Bürger der Europäischen Union. Deshalb muss die Kommission einschreiten können und auch einschreiten. Andernfalls werden die Bürger um die Früchte einer EU-Zugehörigkeit gebracht, aber auch um das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union.

Im Europaausschuss haben wir das Thema „Grundwerte und Rechtsstaatlichkeit“ immer wieder aufgegriffen und diskutiert, zuletzt – noch vor Corona – in Brüssel mit dem zuständigen Justizkommissar Didier Reynders. Dabei habe ich nochmals unterstrichen, wie wichtig es ist, zukünftige Mittelzuweisungen aus dem Haushalt und damit aus dem mehrjährigen Finanzrahmen an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien zu knüpfen. Das muss eine Conditio sine qua non werden.

(Beifall des Abg. Konstantin Kuhle [FDP])

Zu den Anträgen. Es sind gute Ansätze, aber die Anträge sind anderthalb Jahre alt. Der Antrag der FDP beispielsweise ist vom 29. Januar 2019 datiert. Es wäre deswegen angezeigt gewesen, diese Anträge zu überarbeiten, zu aktualisieren. Welche Rolle bei der Begleitung des ganzen Prozesses unsere politischen Stiftungen übernehmen können, habe ich in den Anträgen im Übrigen nicht entdecken können.

Gerade der Antrag der FDP beleuchtet mir aber auch die Rolle der Medien viel zu kurz. Dort heißt es: Ferner brachte das Europäische Parlament seine Bedenken insbesondere angesichts der Entwicklungen in den Bereichen öffentlich-rechtlicher Medien zum Ausdruck. – Das ist mir zu wenig.

Das Europäische Parlament findet in dem Antrag der FDP 15-mal Erwähnung, sogar das Freedom House zweimal, Guido Westerwelle dagegen kein einziges Mal. Er war es aber, der am 22. April 2013 erstmals zusammen mit seinem damaligen Kollegen Frans Timmermans aus den Niederlanden sowie seinen Kollegen aus Dänemark und Finnland die Rechtsstaatsinitiative überhaupt aus der Taufe hob. Er hätte in Ihrem Antrag eine Erwähnung verdient gehabt.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)