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Dr. Norbert Röttgen: "Wir brauchen eine strategische Sicht"

Rede zum Einzelplan 05 - Auswärtiges Amt

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir leben in einer Zeit von Umbruch, von Umbrüchen, von Auflösung von Ordnung und der Entstehung von neuen Machtpolen und neuen Machtzentren. Die Bürger erwarten, brauchen Orientierung, damit sie Vertrauen darin haben können, dass wir das schaffen.

Orientierung geben wir nicht und können wir nicht geben, wenn wir reagieren, wenn wir hinterherlaufen, sondern wir brauchen eine strategische Sicht. Wir brauchen Gestaltungs- und Handlungswillen. Darin stimmen wir, glaube ich, überein; das ist mehrfach gesagt worden. Ich möchte mich auf ein Thema konzentrieren und dazu einige Anmerkungen machen. Das Thema lautet China.

Dieses Thema ist heute mehrfach angesprochen und auch von der Bundeskanzlerin völlig zu Recht mit ins Zentrum ihrer Rede gestellt worden. Gerade seitdem Xi Jinping die Macht in China übernommen hat, erleben wir eine dramatische Veränderung in diesem Land. Wir haben einen völlig neuen geopolitischen Machtanspruch Chinas. Wir haben eine neue technologisch-wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und zum Teil Überlegenheit gegenüber europäischen Firmen und Ländern. Wir haben eine konsequente Überwachung, teilweise Unterdrückung eigener Bürger, ethnischer und religiöser Minderheiten mit modernsten digitalen Methoden. Und wir haben eine inzwischen nicht mehr begrenzte, weder zeitlich noch durch die Prinzipien der kollektiven Führung, monolithische Führung der Partei und des Staates.

Meine Damen und Herren, das sind so dramatische Veränderungen und Herausforderungen, die nur eine Schlussfolgerung gebieten, nämlich: Wir brauchen eine China-Strategie,

(Beifall bei der CDU/CSU)

die wir nicht haben, glaube ich. Am besten wäre eine westliche China-Strategie. Diese ist im Moment noch nicht erkennbar. Aber sicher wäre es gut, eine europäische China-Strategie zu haben. Aber damit die entsteht, brauchen wir eine strategische Meinungsbildung in Deutschland;

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

denn in Europa schaut man auf uns und auf die Weichenstellungen, die wir vornehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Frank Müller-Rosentritt [FDP])

Und das gibt es zum Teil ja auch. Es wird immer gesagt: Wir brauchen das. Bei dem Thema 5G zum Beispiel gibt es eine Risikobewertung der Europäischen Kommission. Sie spricht ganz eindeutig von den Gefahren und Verwundbarkeiten für das 5G-Netz, die entstehen, wenn Unternehmen, die unter staatlichem Einfluss stehen, dieses Netz ausbauen.

(Armin-Paulus Hampel [AfD]: Sehr richtig!)

Dieser Bewertung hat Deutschland zugestimmt. Es ist eine richtige Position, meine Damen und Herren, dass das so verabschiedet worden ist.

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Halten Sie sich mal dran!)

Ich würde Sie bitten, Herr Kollege Maas: Wenn Sie sich – Deutschland hat ja auf der europäischen Ebene dafürgestimmt – für die Verbreitung der Information unseres Abstimmungsverhaltens im Bereich der Bundesregierung verwenden könnten und wenn auch die Bundesnetzagentur einen Hinweis darauf bekommt, wie sich Deutschland auf europäischer Ebene richtig verhält, dann wäre das, glaube ich, gut.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Herausforderungen aus China für uns bestehen darin, dass China gleichzeitig alles ist: Partner, Wettbewerber und Widersacher. Die Europäische Kommission hat China einen „systemischen Rivalen“ genannt.

Ich fange mit dem ersten Punkt an: Ja, wir wollen China als Partner haben. China ist eine Realität, an der keiner vorbeikommt. Darum wollen wir diese Partnerschaft haben und pflegen. Zum Beispiel im Bereich des Klimaschutzes ist sie unverzichtbar. China hat einen steigenden CO2-Ausstoß. Sein Anteil ist inzwischen bei 27 Prozent der globalen CO2-Emissionen angekommen. Wenn wir den Klimawandel bekämpfen wollen, geht das nicht ohne China, schon gar nicht gegen China. Vielmehr brauchen wir China als Partner an dieser Stelle.

Zweitens: China als Wettbewerber. Noch ist das Verhältnis von Import und Export ausgeglichen. Noch haben wir eine Win-win-Situation. Aber die Entwicklungsrichtung im Verhältnis zu China ist eine andere. China drängt technologisch bzw. in seiner Wettbewerbsfähigkeit immer weiter vor, auch in klassische deutsche Kompetenzgebiete im Bereich der Industrie. Im Bereich der künstlichen Intelligenz ist China weit voraus. Da ist die Frage: Sind wir schon abgehängt oder noch anschlussfähig? Das heißt, hier verändert sich die Entwicklungsrichtung in der Weise, dass China dominant wird und wir an Wettbewerbsfähigkeit einbüßen.

Darum, glaube ich, ist die Herstellung, die Beibehaltung von wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit auf der Basis von Innovation das Herzstück einer deutschen und europäischen China-Strategie. Wenn uns das nicht gelingt, können wir allen Einsatz für Menschenrechte, Geopolitik und Multilateralismus vergessen, meine Damen und Herren. Es geht um dieses Herzstück, das wir erhalten müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP und der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Darum ist es, glaube ich, geboten, dass wir Abhängigkeiten gegenüber China vermeiden und reduzieren, dass wir unsere Absatzmärkte diversifizieren. In einer solchen Phase, in der sich das Zeitfenster langsam schließt – noch haben wir die Möglichkeit, auf China Einfluss auszuüben, weil Deutschland China braucht, aber China auch Deutschland braucht –, in einer solchen Situation, in der wir technologische Abhängigkeiten reduzieren müssen, in der wir unsere Kompetenzen steigern müssen, wäre es fatal falsch, wenn wir den Ausbau des 5G-Netzes an China outsourcen würden, statt eine europäische industrielle Kompetenz zu entwickeln, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Christoph Matschie [SPD])

Mein letzter Punkt: China als Widersacher. Nur zwei Anmerkungen. Erstens. China hat fundamental andere Werte. China steht zu seinen Werten. Auch wir Europäer sollten zu unseren Werten stehen, meine Damen und Herren. Wir werden nicht stärker, wenn wir unsere Werte kompromittieren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Zweitens – ich kann hier nur eine Anmerkung machen, weil mir die Zeit davonläuft –: Multilateralismus. China hat ein relativ selektives Verhältnis zum internationalen Recht.

(Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Allerdings!)

Im Südchinesischen Meer passt das internationale Recht dem chinesischen Machtanspruch nicht. Wir sind aber doch alle Multilateralisten. Wir sind doch für die regelbasierte Ordnung. Also müssen wir wenigstens mal in die Lage kommen, rational darüber zu diskutieren: Was heißt es, wenn ein so großes marktmächtiges Land sich so verhält und das internationale Recht verletzt? Dann ist das nicht der „Platz an der Sonne“; dann ist das nicht irgendein imperialistisches Denken, sondern es geht um unseren glaubwürdigen, effektiven Einsatz für einen regelbasierten Multilateralismus – auch gegenüber China, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)