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Dr. Norbert Röttgen: "Die Lage ist wirklich ernst und wirklich besorgniserregend"

Rede zur Aktuellen Stunde | Iran-Atomabkommen verteidigen – Kriegsgefahr abwenden

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Lage ist in dieser Debatte schon mehrfach beschrieben worden. Ich schließe mich der Beschreibung an: Die Lage ist wirklich ernst; sie ist wirklich besorgniserregend. Ich möchte mich darum in meinem kurzen Beitrag nur einer Frage zuwenden, nämlich der Frage: Was können, was müssen wir tun? Was ist die Schlussfolgerung für uns?

Meine erste Anmerkung dazu ist die Frage: Wer ist „wir“? Ich glaube eben nicht, dass „wir“ die deutsche Politik ist, sondern es muss unmissverständlich klar sein, dass das Handlungsformat in dieser Frage die E3, die drei europäischen Staaten Frankreich, Großbritannien und Deutschland, plus die Hohe Beauftragte sind. In diesem Format müssen wir handeln. Aktionismus bringt hier nichts, sondern Realismus ist gefragt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Alexander Graf Lambsdorff [FDP])

Die zweite Frage ist: Was soll denn in diesem europäischen Handlungsformat geschehen? Ich bin der Überzeugung, dass wir – „wir“ im eben definierten Sinne – eine politisch-diplomatische Initiative entwickeln und einbringen müssen, die natürlich den unbedingten Einsatz für das Nuklearabkommen zum Inhalt hat, die aber gleichzeitig darüber hinaus geht. Wir müssen uns auf mehr vorbereiten, als nur auf der Position zu beharren: Es muss dieses Nuklearabkommen aufrechterhalten werden. – Das muss es, aber das reicht nicht mehr; denn in dem Fall, dass sich der Iran teilweise oder ganz aus dem Abkommen zurückzieht, ist dieses Abkommen tot. Auf diesen möglichen Fall müssen wir uns als Erstes schon jetzt vorbereiten.

(Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Nein! Wir müssen es verhindern!)

– Ja, wir müssen es zu verhindern versuchen; aber manchmal passieren Dinge, die wir nicht wollen. Darum müssen wir uns auf diese Dinge, die passieren, obwohl wir sie nicht wollen, einrichten, meine Damen und Herren; wir müssen vorbereitet sein.

Zweitens. Selbst wenn der Iran nicht aussteigt, können wir die Folgen, die der Komplettausstieg und die Wiedereinführung der Sanktionen durch die USA haben, nicht ignorieren. Wir müssen auch realistisch zur Kenntnis nehmen, dass wir nicht die Möglichkeit haben – wir haben es sorgfältig analysiert –, die wirtschaftlichen Folgen, die die Sanktionen der USA haben, zu kompensieren. Das knüpft an die einzigartige Stellung des Dollar im internationalen Finanzsystem an. Wir haben nicht die Möglichkeit, das auszugleichen und zu neutralisieren. Das müssen wir wissen, und wir müssen es sagen.

Drittens. Im Zusammenhang mit dem Iran stellt sich nicht nur die Nuklearfrage. Vielmehr sind zahlreiche regionale Konflikte nur aufgrund der iranischen Politik da bzw. werden durch sie verschärft. Das heißt, wir müssen uns diesem Phänomen nähern und eine politische Antwort darauf entwickeln. Wie könnte diese politische Initiative, die wir zusammen entwickeln, aussehen?

Ich glaube erstens, diese Initiative muss der Politik der USA Rechnung tragen, weil sie ein Realfaktor in der Region ist. Zu glauben, wir könnten antagonistisch und dauerhaft konträr erfolgreich sein, ist keine realistische Annahme.

Zweitens müssen wir versuchen, der Interessenlage Irans Rechnung zu tragen. Ist das möglich? Nach meiner Einschätzung sieht sich der amerikanische Präsident Donald Trump nicht als Krieger, sondern als Dealmaker. Ich würde, Kollege Graf Lambsdorff, auch nicht jede Ankündigung der amerikanischen Regierung, sich nicht militärisch engagieren zu wollen, als verdeckte Ankündigung einer militärischen Intervention interpretieren.

(Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Jede sicher nicht! – Armin-Paulus Hampel [AfD]: Nicht jede!)

– Ja, nicht jede. – Ich glaube nicht, dass das ihr Interesse ist. Ich glaube, dass Trump die Soldaten nach Hause holen will, und zwar vor der Präsidentschaftswahl, und dass er keine neuen Kriege starten will; das ist meine Einschätzung.

Donald Trump hat die Iraner auch zu Verhandlungen aufgefordert. Er hat gesagt: Kommt an den Tisch, um zu verhandeln.

(Armin-Paulus Hampel [AfD]: „Ruft mal an!“, hat er gesagt! – Zuruf des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])

Das Interessante war, dass der iranische Staatspräsident Rohani nicht kategorisch erklärt hat: Das kommt überhaupt nicht infrage. – Vielmehr hat der iranische Staatspräsident gesagt: „So nicht!“, aber er hat nicht kategorisch Nein gesagt. Das ist bemerkenswert in dieser Lage. Das heißt, da ist noch ein Faden zwischen beiden Staaten, den USA und dem Iran, vorhanden. Dieser Faden besteht darin, dass trotz der Beschädigung und der Möglichkeit des Scheiterns des Nuklearabkommens der zugrundeliegende Gedanke dieses Abkommens nicht zerstört und beschädigt ist. Der zugrundeliegende Gedan ke war ja, ein Geschäft zu machen, um die Sicherheit vor dem Iran und die wirtschaftliche Entwicklung im Iran in ein Austauschverhältnis zu bringen; das ist der Grundgedanke des Nuklearabkommens.

Ich glaube, wenn man diesen Gedanken immer weiter lediglich auf das Nuklearabkommen bezieht, dann sind wir in einer Sackgasse. Wenn man ihn aber ausdehnt, wenn man auch die anderen Konflikte dieser Region einbezieht, also ein einzelnes nicht lösbares Problem vergrößert, dann könnten sich neue Möglichkeiten der Verhandlungsparität, der Verhandlungsbereitschaft ergeben. Das wird nicht von den USA und auch nicht vom Iran ausgehen, sondern das ist eine der Möglichkeiten, die die Europäer haben. Ich glaube, dass es notwendig ist, dass wir dies entwickeln, weil es an uns liegt.

(Zurufe von der LINKEN)

Wir müssen grundlegend erkennen – das ist mein letzter Satz dazu –, dass wir, obwohl wir es uns nicht gewünscht haben, gegenüber der gesamten Region ein politisches Verhältnis entwickeln müssen. Das Schicksal dieser Region und das Schicksal Europas sind für lange Zeit nicht mehr voneinander zu trennen, und es gibt kein anderes Land, das unsere Interessen wahrnimmt. Wir müssen es selbst tun – wir, die Europäer.

Danke sehr.

(Beifall bei der CDU/CSU)