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Dr. Katja Leikert: Die Menschen sind nach wie vor von Europa stark überzeugt

Rede zur Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat und zum ASEM-Gipfel

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben jetzt schon einiges gehört: Wir haben gehört, dass Sahra Wagenknecht behauptet, die Menschen seien nicht mehr begeistert von Europa. Wir haben von Alice Weidel irgendwas über einen Staatenbund gehört – irgendwas wird da theoretisiert –, und von Herrn Gauland wird historisiert. Die Realität ist eine ganz andere: Die Menschen sind nach wie vor von Europa stark überzeugt. 60 Prozent der Menschen in Europa halten die Europäische Union für ein gutes Projekt, in Deutschland sind es sogar 80 Prozent der Menschen. Das heißt, die Bürgerinnen und Bürger sind wesentlich schlauer als das, was wir hier von den Seiten links und rechts von uns gehört haben.

Richtig ist aber auch – auch das müssen wir zur Kenntnis nehmen –, dass in einzelnen Mitgliedstaaten – Großbritannien ist das beste Beispiel dafür, aber auch Italien – die EU-Skepsis gewachsen ist. Wir müssen deshalb die Vorteile der Europäischen Union, die für viele von uns in diesem Hohen Haus selbstverständlich sind, immer wieder erklären und betonen. Wir müssen die Europäische Union laufend besser machen – natürlich gibt es Korrekturbedarf –, aber der Kerngedanke der Europäischen Union ist richtig und wichtig.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Tagesordnung des Europäischen Rats wird vom Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union dominiert. Viele von uns bedauern den Schritt Großbritanniens. Aber der Austritt Großbritanniens wird nichts an der geografischen Nähe zu uns ändern, und wir wollen weiterhin ein vertrauensvolles und freundschaftliches Verhältnis zu Großbritannien und eine enge Zusammenarbeit auf möglichst vielen Gebieten.

Aber mir ist es gar nicht so wichtig, über die technischen Aspekte des Brexit zu sprechen. Der Austrittsprozess, der sich so schwierig gestaltet – wir merken, wie kompliziert es ist, das auseinanderzuflechten –, zeigt, wie eng die 28 Nationalstaaten miteinander verbunden sind. Großbritannien war 45 Jahre Mitglied in der Europäischen Union, und diese 45 Jahre haben zu einer wirklich hohen Dichte an Verbindungen geführt. Das geht von Lieferketten, Produktionsabläufen, gemeinsamen Unternehmen, Finanzbeziehungen und Forschungseinrichtungen hin zu persönlichen Beziehungen und Erwerbsbiografien über die Grenzen hinweg. Hier wird Europa für die Menschen ganz konkret. In allen Bereichen, in denen die Vertiefung, die Vergemeinschaftung stattgefunden haben, gilt, dass das immer zum Nutzen der Beteiligten geschehen ist, für die Menschen, für die Unternehmen, für die Wissenschaft.

Der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union zeigt uns darüber hinaus – jedenfalls geht das mir und einem Großteil meiner Fraktion so –, wie geradezu paradox es ist, eine funktionierende und höchst erfolgreiche Gemeinschaft aufzulösen und gleichzeitig wieder darüber nachzudenken, wie man neue Verträge und neue Verbindungen ausgestalten kann. Wir lösen Großbritannien aus dem Binnenmarkt bzw. Großbritannien löst sich selbst aus dem Binnenmarkt und aus der Zollunion heraus, und gleichzeitig müssen wir neue Formen finden, wie wir zusammenarbeiten wollen. Spätestens am Beispiel Irland wird deutlich – Ralph Brinkhaus hat es vorhin gesagt –, was hinter dem Friedensprojekt Europa steht.

Warum ist das alles so? Warum tun wir uns damit so schwer? Wir tun uns so schwer, weil gemeinsam alles leichter zu erreichen ist und – so platt es klingt – weil eine kluge Kooperation am Ende immer besser ist, als wenn jeder so vor sich hin werkelt. Genau aus dieser Verbundenheit und diesem komplexen Regelwerk – liebe Alice Weidel, vielleicht hören Sie an dieser Stelle einmal zu –,

(Dr. Alice Weidel [AfD]: Ja!)

aus der Tatsache, dass wir Souveränität an die europäischen Institutionen abgegeben haben, ist die Stärke Europas erwachsen.

(Dr. Alice Weidel [AfD]: Nein, ich sehe es genau umgekehrt!)

Nach wie vor stimmt der Satz: Je besser die Europäische Union funktioniert, desto besser ist es für jeden einzelnen Mitgliedstaat.

Wirtschaftlich ist die Europäische Union ein beispielloser Erfolg. Auch die Kanzlerin hat es vorhin gesagt: Niemals in der Geschichte – vielleicht ist das auch ein historischer Fakt, der interessieren könnte – und nirgends auf der Welt ging es so vielen Menschen so lange so gut wie heute in der Europäischen Union.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Und weil es heute so selbstverständlich erscheint und man mit diesen großen Ideen anscheinend spielen kann, ist es wichtig, zu erwähnen, woher der Erfolg rührt. Der Erfolg rührt von einem Binnenmarkt, von Freihandel und davon, dass wir gemeinsame Regelungen und Standards im Bereich Waren und Dienstleistungen haben, dass wir keine Zölle mehr haben und die Grenzen weg sind; ich brauche es nicht zu wiederholen, wir haben es oft genug gehört. Wir, die CDU/CSU-Fraktion, jedenfalls wollen, dass diese einmalige Erfolgsgeschichte anhält, und jedem, der in nationale Kleinstaaterei zurückfallen will, dem erteilen wir eine ganz klare Absage.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Für uns ist ganz klar – und genau das zeigt eben der Brexit –: Wenn es heute keine Europäische Union geben würde, dann würden wir sie erfinden.

(Widerspruch bei der AfD)

Wir würden anfangen, mit anderen Staaten Verträge zu schließen und Abkommen zu machen, dann wahrscheinlich eine Zollunion entwickeln und darüber hinaus die Menschen in einem Binnenmarkt stärker miteinander verbinden. Wir haben das Glück, heute die Vision unserer politischen Väter und Mütter zu leben.

Ich jedenfalls wünsche mir mehr Mut und Zuversicht, um diese weltweit einzigartige Union von Staaten zu stärken und zukunftsfest zu machen. Ich wünsche der Bundeskanzlerin heute viel Erfolg beim Europäischen Rat.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)