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Dr. Heribert Hirte: "Wir brauchen Instrumente zur Bildung von Eigenkapital"

Regierungserklärung zum Europäischen Rat am 25. und 26. März 2021

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Bundeskanzlerin! Wir haben viel darüber gehört, was beim Europäischen Rat besprochen werden soll. Ein Punkt wurde bisher aber kaum angesprochen, die Digitalisierung. Das ist ein gutes Zeichen, weil das in gewisser Weise die Rückkehr zur Normalität bedeutet. Deshalb möchte ich einige der Punkte, die beim Europäischen Rat besprochen werden und besprochen werden sollten, ansprechen:

Es soll um die Datenökonomie gehen. Datenökonomie beinhaltet die Frage: Wer hat eigentlich das Eigentum an den Daten, die wir alle jeden Tag – auch hier – produzieren? Wir haben auf europäischer Ebene – gerade war vom Tanker Europa die Rede – die Datenschutz-Grundverordnung produziert, die durchaus auch Kritik ausgelöst hat. Sie ist im Ansatz durchaus richtig, aber wir sehen, dass sie einen Punkt nicht wirklich löst. Der betrifft die Frage: Wie können wir mit den aggregierten Daten umgehen? Da wir viel über das Impfen gesprochen haben, will ich in diesem Zusammenhang sagen: Wir haben gehört, dass es in Israel schneller ging. Warum ging es da schneller? Weil dort aggregierte Gesundheitsdaten zur Verfügung standen. Wir müssen hier die Balance neu ausrichten: Wir müssen an diese Daten herankommen, sie müssen auf der einen Seite genutzt werden können, und auf der anderen Seite müssen die Persönlichkeitsrechte gewahrt werden. – Das ist ein ganz wichtiger Schritt nach vorne.

Wir sehen, dass viele Unternehmen von und mit Daten leben, dass manche auch Daten missbrauchen. Wir müssen dafür sorgen, dass diese Unternehmen diesen Wert nutzen können, dass Daten als Wirtschaftsgüter in die Bilanz gesetzt werden können. Auch dies ist ein Punkt, der auf europäischer Ebene adressiert werden muss; denn wenn das nicht von dort kommt, kann es bei uns nicht realisiert werden. Das ist ein wichtiger Schritt, um die Realität des Lebens der Daten zu reflektieren.

Ein zweiter großer Bereich ist die künstliche Intelligenz. Ohne künstliche Intelligenz läuft nichts mehr. Aber wir sehen auch, dass die Menschen sich Sorgen machen, wenn sie von automatisierten Systemen sozusagen überwacht werden, wenn sie mit denen kooperieren müssen. Deshalb haben wir im Unterausschuss Europarecht über die Fragen, die sich hier stellen, schon mehrfach gesprochen. Eine der zentralen Fragen, die sich hier stellt, ist die Haftungsfrage: Zu viel Haftung führt dazu, dass die Intelligenz nicht entwickelt wird; zu wenig Haftung führt dazu, dass das Vertrauen nicht da ist. Hier die Balance zu finden, ist einer der Punkte, die beim anstehenden Europäischen Rat adressiert werden müssen.

Das alles hängt mit dem zusammen, was Sie eingangs gesagt haben, mit der digitalen Souveränität, die wir anstreben müssen. Der Tanker, so will ich es sagen, braucht einen Kopf, und der Kopf muss bei uns in Europa sein. Es kostet Geld, dieses Ziel zu erreichen; das ist die andere Seite der Medaille. Nicht jeder Punkt, nicht jeder Schritt muss in Europa verwirklicht werden. Wir müssen schauen, welche Punkte möglicherweise in Kooperation mit anderen Ländern verwirklicht werden können, welche ausgelagert und hinzugekauft werden können. Aber eines ist ganz wichtig: Die Zeit drängt; denn wenn wir hier nicht agieren, dann agieren andere, und die agieren sonst schneller.

Damit bin ich sozusagen bei einer Nebenbaustelle, die beim Europäischen Rat auch angesprochen werden wird, nämlich bei der Kapitalmarktunion. Das ist ein Thema, das durch die Pandemie ein bisschen in Vergessenheit geraten ist. Wir führen in Deutschland eine Diskussion über EDIS, das Einlagensicherungssystem. Es ist richtig, dass wir dieses Einlagensicherungssystem nur weiterentwickeln wollen – damit ist möglicherweise eine Risikoteilung in Grenzen möglich –, nachdem wir zuerst die Risiken reduziert haben. Dabei bleiben wir auch. Aber wir sehen auf der anderen Seite auch, dass die Risiken gestiegen sind, dass die Schulden gestiegen sind; durch die Pandemie war dieser Anstieg unvermeidbar. Deshalb brauchen wir auch auf europäischer Ebene Antworten, wie wir mit diesen gestiegenen Schulden umgehen.

Der wichtigste Punkt ist: Wir brauchen Instrumente zur Bildung von Eigenkapital. Die Menschen müssen in die neuen Projekte investieren, die nach der Krise entstehen, damit der neue Mut auch aufgegriffen werden kann. Wir müssen kleinen und mittelständischen Unternehmen stärker unter die Arme greifen. Wir haben vor wenigen Wochen hier die europäische Restrukturierungsrichtlinie umgesetzt. Das war eine Schönwetterrichtlinie, die für die Restrukturierung großer Unternehmen vorgesehen war. Wir haben gemerkt: Für die kleinen und mittelständischen Unternehmen fehlt da einiges. Da müssen wir nachbessern; das haben wir in der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung auch gesagt. Da ist viel zu tun. Es gibt viele Möglichkeiten jenseits des Schuldenmachens, das manche als die einzige Lösung ansehen.

Ein letzter Punkt. Die Europäische Kommission hat in den letzten Tagen gegenüber China ganz deutlich gesagt: Wie dort mit den Uiguren umgegangen wird, das geht nicht. Sie hat Sanktionen verhängt. Das ist ein ganz wichtiges außenpolitisches Signal. Ich würde mir wünschen, wenn vom Europäischen Rat dasselbe Signal ausginge.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Jan Korte [DIE LINKE]: Jetzt das Highlight!)