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Dr. Andreas Nick: "Der Schlüssel zu einer nachhaltigen Befriedung liegt in der Lösung des Kurdenkonflikts in der Türkei"

Aktuelle Stunde - Haltung der Bundesregierung zum Einmarsch der Türkei in die nordsyrische Region Afrin unter Einsatz von Panzer

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die militärische Intervention der Türkei in der nordsyrischen Region Afrin ist nach der weit überwiegenden Einschätzung in diesem Haus nicht nur militärisch riskant und humanitär problematisch, sie ist auch politisch falsch und mit dem Völkerrecht unvereinbar.

Wirklich überraschen kann diese Entwicklung allerdings niemanden, der die Geschehnisse in der Region aufmerksam verfolgt. Man mag es für einseitig oder falsch halten, dass die Türkei die Entwicklung in jenem Teil Syriens vorrangig unter dem Gesichtspunkt des Konflikts mit der PKK im eigenen Land zu betrachten scheint. Wer aber eine weitere Eskalation verhindern will, der kann nicht ignorieren, dass die Türkei – nicht nur die Regierung Erdogan, sondern weite Teile der türkischen Gesellschaft – durch ihre Betroffenheit und Interessenlage an dieser Stelle eine spezifische Wahrnehmung von Bedrohungen hat.

Für die Türkei ist es erste Priorität, an ihrer Südgrenze kein von der YPG kontrolliertes Gebiet entstehen zu lassen, das in ihrem Verständnis vorrangig als Rückzugsraum und Ausgangsbasis für Guerillaaktionen der PKK in der Türkei zu betrachten wäre. Dass sie dies im Zweifelsfall auch mit militärischen Mitteln zu verhindern versuchen wird, darauf haben Sicherheitsexperten seit langem hingewiesen.

Zweifelsohne hat die YPG einen wichtigen Beitrag im militärischen Kampf gegen den IS geleistet. Aber die Stärkung der YPG, auch durch die militärische Zusammenarbeit mit den USA, ist im Hinblick auf ihre Folgewirkungen in der Region nicht ohne Risiken; denn nicht nur nach türkischer Interpretation ist die YPG das syrische Pendant zur PKK. Sie wird im Übrigen auch vom deutschen Verfassungsschutz als Schwesterorganisation der PKK eingestuft,

(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Der Verfassungsschutz spinnt!)

die wiederum in Deutschland, der EU und den USA als Terrororganisation gilt.

Die YPG wird sich an irgendeinem Punkt entscheiden müssen, welchem Anliegen sie den Vorrang gibt, der kurdischen Selbstverwaltung in Syrien oder ihrem Kampf gegen die Türkei. Natürlich – auch da sind wir uns hoffentlich alle einig – darf Gewalt nicht die Antwort auf die krisenhaften Entwicklungen in der Region sein, nicht in Syrien, nicht in der Türkei und schon gar nicht auf den Straßen und Plätzen in Deutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Tobender Beifall!)

Deshalb ist es gut und richtig, dass das Verbot der PKK unter der Verantwortung des neuen Landesinnenministers Herbert Reul, wo notwendig, nunmehr auch in Nordrhein-Westfalen konsequent umgesetzt wird.

Eines aber ist klar: Der Schlüssel zu einer nachhaltigen Befriedung liegt in der Lösung des Kurdenkonflikts in der Türkei. Eine Wiederaufnahme des Friedens- und Versöhnungsprozesses würden wir deshalb nachdrücklich unterstützen. Als Ergebnis ist auch ein hohes Maß an regionaler und kultureller Autonomie für die kurdischen Gebiete vorstellbar. Unabdingbare Voraussetzung dafür ist aber zweierlei: ein uneingeschränkter Gewaltverzicht ebenso wie die unzweideutige Anerkennung der territorialen Integrität der Türkei. Umgekehrt gilt aber auch: Statt die oppositionelle HDP zu kriminalisieren – ihre Co-Vorsitzenden Demirtas und Yüksekdag und weitere Abgeordnete sind seit Monaten inhaftiert –, wäre es richtig und notwendig, der politischen Interessenvertretung von Teilen der kurdischen Bevölkerung innerhalb der Türkei durch demokratisch legitimierte Parteien und Abgeordnete angemessenen Raum zu geben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nicht zuletzt aufgrund der amerikanischen Unterstützung der YPG sind die Beziehungen zwischen der Türkei und den USA in den letzten Jahren zunehmend belastet. Gleichzeitig befördert die Krise in Syrien die Annäherung zwischen der Türkei und Russland. Es ist im Übrigen schwer vorstellbar, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass es ohne ein zumindest stillschweigendes Einverständnis der Herren Putin und wohl auch Assad zu der türkischen Intervention in Syrien gekommen wäre. Weil hier auch über Rüstungsexporte gesprochen wird: Im vergangenen Jahr hat die Türkei, obwohl NATO-Partner, mit Russland ein Raketenabwehrprojekt mit Ausgaben in Milliardenhöhe abgeschlossen.

(Zuruf von der LINKEN: Das macht es auch nicht besser!)

Für unser Land gilt nach den Politischen Grundsätzen der Bundesregierung aus dem Jahr 2000, dass der Export von Rüstungsgütern an NATO-Länder nur „aus besonderen politischen Gründen in Einzelfällen“ zu beschränken ist.

(Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Ja, dann macht das doch!)

Im Fall der Türkei erfolgen Genehmigungen seit dem Putschversuch vom Juli 2016 nach außen- und sicherheitspolitischen Prüfungen der Bundesregierung und im Abgleich mit der fortlaufenden Genehmigungspraxis der EU-Mitgliedstaaten. Auch der Beachtung der Menschenrechte wird bei der Bewertung der Rüstungsexportentscheidungen ein besonderes Gewicht beigemessen.

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nee, das stimmt ja nicht! – Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Das ist die Theorie! Die Praxis ist eine andere!)

Nach einer grundsätzlichen Evaluierung des Militäreinsatzes der Türkei in Syrien wird von einer künftigen Bundesregierung über das weitere Vorgehen zu entscheiden sein.

Meine Damen und Herren, die Befriedung der Region hängt aber nicht von deutscher Exportpolitik ab. Entscheidend ist, ob es mit einer international abgesicherten Friedenslösung gelingt, das Anliegen einer kurdischen Selbstverwaltung auf beiden Seiten der türkischen Grenze mit den Sicherheitsinteressen der Türkei in Einklang zu bringen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)