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Roderich Kiesewetter: "Wir sind offen und reichen die Hand zum Dialog"

Rede zu Menschenrechtsverletzungen - Fußball-WM 2018

Frau Präsidentin, Verzeihung wegen vorhin. Sie hatten recht, und ich werde das beherzigen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Countdown läuft. In wenigen Stunden wird die Fußballweltmeisterschaft angepfiffen.

(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: In 15 Minuten! – Sören Pellmann [DIE LINKE]: Zur Halbzeit sind wir fertig!)

– Ich habe noch den Zeitsprung von heute früh im Kopf. Für mich ist noch Vormittag. Aber Sie haben recht. – Das Entscheidende ist ja, dass die Fußballweltmeisterschaft uns auch die Chance bietet, der russischen Bevölkerung, dem russischen Volk zu sagen: Wir haben Interesse an einem guten Verhältnis mit euch, und wir schätzen eure Kultur und eure Kunst.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Die Fußballweltmeisterschaft kann Brücken über die Abgründe bauen, die die russische Führung in den letzten Jahren in erheblichem Maß verursacht hat: Skripal, Syrien, Ukraine, Krim. Zugleich ist die Fußballweltmeisterschaft zu Beginn davon überschattet – Manuel Sarrazin hat das angesprochen –, dass wir einem erwiesenermaßen herausragenden und neutralen Journalisten raten müssen, nicht nach Russland zu reisen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bedauert außerordentlich, dass Hajo Seppelt und viele andere nicht frei aus Russland berichten dürfen. Das gilt es auch anzusprechen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb nehme ich gerne den Vorschlag der Grünen auf, über das Ganze strategisch zu sprechen.

Wir in der Regierungskoalition sind ja jede Woche von strategischen Debatten, die irgendwo Russland berühren, betroffen,

(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Im Moment habt ihr erst einmal andere Sorgen!)

und ich danke sehr, dass ich als Außenpolitiker in dieser Debatte mitwirken darf.

Entscheidend ist doch, dass die russische Führung gegenwärtig gar kein Interesse an einer Modernisierungspartnerschaft hat, dass auch alle unsere Bemühungen, Russland zu einer modernen Ökonomie zu machen und zu einem demokratisch funktionsfähigen Staat, dort auf überhaupt kein Gegeninteresse stoßen. Es ist vielmehr so, dass sich die russische Führung rekrutiert aus Nachrichtendienstlern, die Putin aus seinem engsten Umfeld mitgebracht hat, dass der russische Staat selbst durch Oligarchien gestützt wird, dass die russische Wirtschaft zu 70 Prozent aus Staatswirtschaft besteht und dass Mittelstand im Grunde genommen kaum vorkommt; es ist nur ein zartes Pflänzchen mit hohen Auflagen.

Wir müssen als Bundesrepublik Deutschland, vereint mit anderen Staaten in Europa, zur Kenntnis nehmen, dass Russland vielfach versucht, uns auseinanderzubringen. Die Beispiele sind Legion; darauf gehe ich hier nicht ein. Deshalb sollten wir die Fußballweltmeisterschaft auch für politischen Dialog nutzen und dafür, die Dinge zu benennen.

Eine Sache sollten wir in jedem Fall im Kopf haben: Wir können gegenüber Russland auch reagieren und Angebote machen, die der russischen Führung unangenehm sind, beispielsweise Visaerleichterungen für junge Familien, Visaerleichterungen für Studentinnen und Studenten, Visaerleichterungen für die mittelständische private Wirtschaft. Warum? Weil dann junge Menschen oder Menschen, die aktiv im Geschäftsleben stehen, erkennen, wie unsere Gesellschaft funktioniert, wie bei uns Wohlstand und Zusammenhalt einer Gesellschaft zustande kommen, und diese Erkenntnisse können sie mit nach Russland nehmen. Meine Anregung ist, dass wir das nach der Fußballweltmeisterschaft, die wir sehr kritisch beobachten müssen, aufnehmen und darüber hier im Hause debattieren.

(Beifall der Abg. Katja Mast [SPD])

Es gibt aber auch einen sehr nachdenklichen Punkt. Wir sollten aus meiner Sicht auch einmal herausstellen, wie wir Russland entgegengekommen sind. Als Nachfolger der Sowjetunion ist Russland als permanentes Mitglied im Weltsicherheitsrat aufgenommen worden; das war ein internationaler Akt. Russland ist 2012 in die Welthandels­organisation aufgenommen worden. Russland wurde in die G 8 aufgenommen. Der NATO-Russland-Rat wurde belebt. Aber all das hat nicht dazu geführt, dass Russland mit uns über eine gemeinsame ­Sicherheitsarchitektur sprechen will. Russland verweigert vielfach den Dialog in den Bereichen, wo er ihm wehtut.

Wir sind offen und reichen die Hand zum Dialog. Für uns gilt die Fußballweltmeisterschaft als Brücke über Abgründe; Manuel Sarrazin hat das ja klar herausgearbeitet. Wir dürfen uns aber nicht alles bieten lassen. Wir alle sollten uns bewusst sein, dass es wichtig ist, den Dialog mit Russland zu suchen, insbesondere über den Nahen und Mittleren Osten, über Syrien. Aber der Sport wird uns nicht vereinen, wenn wir nicht gezielt die Mängel ansprechen, die das deutsch-russische und das europäisch-russische Verhältnis belasten. Sport ist ein Heilmittel, aber kein Allheilmittel. Wir haben noch viel Arbeit vor uns.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)