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Erich Irlstorfer: Wir als Deutscher Bundestag haben primär die Aufgabe, für Verlässlichkeit und Stabilität zu sorgen

Rede zur Vermeidung von Doppelverbeitragung von Krankenversicherungsbeiträgen für Betriebsrenten

Verehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Das Thema beschäftigt uns heute zum wiederholten Male. All das, was ich bisher hier gehört habe, war entweder der Versuch, das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung vom 14. November 2003, das zum 1. Januar 2004 in Kraft getreten ist, historisch, sachlich, fachlich und rechtlich zu verteidigen und zu rechtfertigen, oder es wurde in extrem emotionaler Tonlage und mit einer entsprechenden Wortwahl versucht, die Situation zu beschreiben, aufzurütteln, bloßzustellen und zu verurteilen – egal aus welcher Motivation heraus.

Herr Birkwald, ich kann Ihnen nur sagen: Das war eine schöne Rede voller Emotionen. Etwas anderes habe ich nicht erwartet.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Danke!)

Das war aber eher eine parteipolitisch motivierte Rede als ein sachlich begründeter Vortrag.

(Marianne Schieder [SPD]: So was macht die CSU nie!)

Ich möchte Ihnen schon einmal Folgendes sagen: Indem Sie sich hierhinstellen, über Skandale, Seehofer und die Wahl reden, haben Sie heute den wahren Grund für Ihr Engagement genannt: Sie sind auf Stimmenfang und möchten mit den Sorgen und Nöten der Betroffenen hier Wahlkampf machen. – Was ich davon halte, können Sie sich vorstellen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das sollten Sie sich einmal fragen!)

Herr Kollege Birkwald, eines möchte ich schon auch noch korrigieren: Wir kämpfen natürlich um Mehrheiten und Lösungen – das ist vollkommen normal –; aber bis es dazu kommt, dass Sie uns treiben, muss noch viel mehr passieren, gell? Merken Sie sich das!

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das wird passieren!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die verschiedenen Sichtweisen, die wir hier zu hören bekommen, haben natürlich alle ihre Berechtigung. Beiden Anschauungen kann ich etwas abgewinnen. Doch auch in einer so intensiven Debatte unter Einbeziehung sämtlicher Fakten müssen uns als aktuell politische Entscheider, glaube ich, drei Fragen leiten.

Die erste Frage ist: Wollen wir eine politische Entscheidung aus dem Jahr 2003 rückwirkend verändern, weil wir der Meinung sind, dass diese rechtlich vermutlich einwandfreie und machbare Entscheidung unserer Meinung nach 2018 korrigiert werden soll? Wir hätten die Möglichkeit gehabt, im Koalitionsvertrag die Weichen dafür zu stellen. Herr Kollege Lauterbach, wir haben uns damals nicht durchsetzen können; das stimmt, das ist so. Das wollten unsere Parteivorsitzenden nicht.

(Marianne Schieder [SPD]: Was ist denn das für ein Schmarrn?)

Soll die Entscheidung also korrigiert werden, weil wir nach Abwägung der Situation der Meinung sind, dass die Entscheidung, die wir damals für notwendig und handwerklich durchführbar gehalten haben, jetzt aber generell unserem Verständnis von Beitragspolitik im Sozialversicherungswesen widerspricht?

Die zweite Frage lautet: Wie und in welchem Umfang gehen wir mit dem im Zeitraum zwischen dem 1. Januar 2004 und dem Jahresende 2018 Geschehenen um, und wie bewerten wir die Situation ab dem 1. Januar 2019?

Die dritte Frage lautet: Wie können wir das Ganze finanzieren? Durch wen, in welcher Form und in welchem Zeitraum?

Diese drei Sachverhalte müssen wir in einem normalen parlamentarischen Verfahren sachlich erörtern und bewerten und dann hier im Parlament entscheiden. Mein Vorschlag ist, meine sehr geehrten Damen und Herren, dass wir vor einer Entscheidung hier im Parlament auch die Länder mit in die Verantwortung nehmen, dass wir sie insofern mit einbinden, dass sie zumindest gehört werden. Wir von der CSU werden natürlich ebenso wie die Kollegen von der CDU entweder im Parteivorstand oder auf einem Parteitag diese Dinge noch einmal besprechen. Ich schlage aber auch vor, dass wir Parlamentarier eine weitere fraktionsübergreifende Informationsrunde durchführen. Dazu hatten wir schon einmal eingeladen; die Zahl der Anwesenden war aber überschaubar. Ich glaube, Ralph Brinkhaus und Alexander Dobrindt würden das sicher noch einmal machen.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir hatten keine Einladung! Nur fürs Protokoll!)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn wir auf diesem Weg zu dem Entschluss kommen, dass wir in diesem Bereich Veränderungen wollen, dann müssen wir den Menschen im Land natürlich auch sagen, wie das Ganze finanziert werden soll. Ich habe mitbekommen, dass die Kollegin von den Grünen immer wieder das Thema Bürgerversicherung angesprochen hat. Ich glaube nicht, dass das der richtige und vor allem gerechtere Weg ist.

(Zuruf des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE])

Ich glaube, die Folge wäre genau das Gegenteil.

Ich möchte hier auch mit meiner persönlichen Meinung nicht hinterm Berg halten: Ich bin der absoluten Überzeugung, dass wir eine Regelung für die Zukunft brauchen, das heißt ab Januar 2019. Ich bin aber auch – Stand heute – der Meinung, dass wir nicht alle finanziellen Situationen der Betroffenen rückwirkend ausgleichen können. Aber wir müssen ein deutliches finanzielles Signal in diese Richtung senden, weil es natürlich wichtig ist, dass wir die Zukunftsfähigkeit im Bereich der Rente im Hinblick auf die oft genannte dritte Säule weiterhin erhalten.

Eines, denke ich, ist noch viel wesentlicher als all das, worüber wir hier immer wieder nach vorne und nach hinten diskutieren: Wir als Deutscher Bundestag haben primär die Aufgabe, für Verlässlichkeit und Stabilität zu sorgen. Wenn sich ein Arbeitnehmer Gedanken um seine Zukunft macht, wenn er sich fragt, wie es weitergeht, wie er sich auch im Rentenalter versorgen kann, und wenn er im guten Glauben eine finanzielle Absicherung für seine Rente vornimmt und einen Vertrag unterschreibt, dann, glaube ich, muss er sich darauf verlassen können, dass die Konditionen dieses Vertragswerkes Gültigkeit haben,

(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Völlig richtig!)

egal wer dieses Land regiert

(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Ist es ja nicht!)

und unabhängig von der wirtschaftlichen und finanziellen Situation der Sozialversicherungspartner.

(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: So ist es doch nicht!)

Deshalb, meine sehr geehrten Damen und Herren, dürfen wir hier nicht Dinge vorgaukeln, die es gar nicht gibt. Ich höre immer wieder Schlagwörter wie „Skandal“, „Betrug“ und alles Mögliche, was dazugehört. Ich weiß, man hört das nicht gerne, aber das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 6. September 2010 ausdrücklich festgestellt, dass es im Beitragsrecht der gesetzlichen Krankenversicherungen kein Verbot gibt, Einkommen doppelt mit Beiträgen zu belasten. Das ist nicht unsere politische Meinung, und deshalb haben wir auch die politische Kraft, diese Dinge zu verändern. Aber von „Unrecht“ zu sprechen, ist, glaube ich, schon noch eine andere Nummer.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Abschluss – das, glaube ich, kann uns einen –: Wir wissen, dass das nicht Sache nur einer Partei oder nur der Regierung ist, während die Opposition ausgeschlossen ist. Wir alle sind verpflichtet, hier eine Lösung zu finden.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das stimmt! – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Dazu sind wir auch bereit!)

Ich glaube, dass alle Parteien in diesem Hause und auch in den Ländern bereit sind, gemeinsam zu einer Lösung beizutragen.

(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Wir auf jeden Fall!)

Das eint uns, darüber werden wir reden, und wir werden auch darum ringen, welche Situation die bessere ist. Schließlich geht es bei diesem Thema um mehr als nur um Geld. Es geht um Glaubwürdigkeit. Wir werden die Situation entzerren, und wir werden sie verbessern. Aber wir werden nicht alles schaffen können. In diesem Sinne hoffe ich auf gute Beratungen und auf eine faire Zusammenarbeit.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)