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Alexander Dobrindt: Wir haben keinen Nachholbedarf an Humanität innerhalb der Europäischen Union

Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat in Brüssel und zum NATO-Gipfel in Brüssel

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die größte Herausforderung unserer Zeit ist die Globalisierung. Globalisierung, Digitalisierung, Migration und Zusammenhalt in Europa können wir nur in einem Europa der Einigkeit bewältigen. Unsere nationale Souveränität und unsere kulturelle Identität lassen sich nur dann erhalten, wenn wir auch weiterhin einen starken Schulterschluss mit den Staaten der Europäischen Union halten und für ein gemeinsames Europa kämpfen. Das ist der Traum unserer Vorväter, die für Europa gearbeitet haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Wir sind beides: stolze Europäer und deutsche Patrioten.

(Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Und stolze Bayern!)

Das ist kein Widerspruch, Frau Katrin Göring-Eckhardt. Nein, ob wir Bayern, Niedersachsen, Sachsen oder Saarländer sind – das alles sind die Regionen unserer Heimat, aber Deutschland ist unser Vaterland und Europa die Gegenwart und Zukunft von uns allen. Diese Auffassung sollten wir gemeinsam teilen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glaubt Ihnen keiner mehr!)

Und glauben Sie mir: Diese Kombination ist das Rezept gegen all diejenigen, die diese Vision Europas der Vaterländer infrage stellen. Genau das ist das Rezept gegen die Reaktionäre, die unser europäisches Band lösen und zurück ins Nationale wollen, gegen die EU-Romantiker, die einen europäischen Einheitsstaat wollen.

(Zurufe von Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Oh! Oh!)

Das ist das Rezept gegen diejenigen, die uns in eine Sackgasse manövrieren wollen und damit das, was wir uns an nationaler Souveränität, an Wohlstand, an Frieden und Freiheit erarbeitet haben, in Gefahr bringen.

(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Die Sackgasse hat einen Namen: Dobrindt!)

Ja, es stimmt, Frau Göring-Eckhardt, wir orientieren uns an Franz Josef Strauß.

(Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: So ein Quatsch! – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Um Gottes willen!)

Wir orientieren uns bei den Fragen Europas auch an Konrad Adenauer und an Helmut Kohl und an den mit diesen Namen verbundenen Visionen von einem gemeinsamen Europa.

(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der hat die Binnengrenzen abgeschafft! – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das hat er nicht verdient!)

Ich sage Ihnen aber auch: Ich hätte von Ihnen eigentlich mehr als belehrende Worte für uns alle erwartet. Ich hätte erwartet, dass Sie die zentralen Themen Ihrer Politik darstellen und erläutern, wie wir mit Migration, einer der großen Herausforderungen, umgehen sollen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der AfD)

Sie haben bis heute nicht erklärt, was Sie eigentlich meinen mit Ihrem Programm: keine Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten, weniger Abschiebungen, eine Untergrenze für Flüchtlinge. Was meinen Sie mit einer Untergrenze für Flüchtlinge? 5 Millionen oder 10 Millionen? Wie viele von den 70 Millionen wollen Sie denn hier aufnehmen?

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Alle, Herr Dobrindt! – Zuruf von der AfD: Alle!)

Das, was Sie fordern, ist der Wegweiser zum Kontrollverlust in diesem Land. Das gehört zur Wahrheit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD und der FDP – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber sonst geht es Ihnen gut!)

Ja, wir stehen vor einem Gipfel. Zur Vorbereitung dieses Gipfels hat der deutsch-französische Ministerrat in Meseberg Grundlagen beschlossen, die wichtige Elemente enthalten:

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Muss es Ihnen schlecht gehen! – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Sie sind der Gipfel!)

der Weg zur Verteidigungsunion, der Schutz der Außengrenzen,

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist eigentlich der Seehofer? – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Diesel!)

eine Zusammenarbeit bei Innovationen, künstlicher Intelligenz und vielem anderen mehr, Bereiche, die wir unterstützen, weil sie zwingend zu einem erfolgreichen Europa gehören.

(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Künstliche Intelligenz setzt andere Intelligenz voraus!)

Dazu gehört übrigens auch die Weiterentwicklung des ESM zu einem europäischen Währungsfonds. Ja, das ist ein richtiger Weg, den wir gehen müssen. Wir müssen aber darauf achten, dass wir über all diesen Elementen, die ein Vorteil für Europa sein können, nicht die Kontrolle verlieren.

(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Apropos Kontrolle: Wo ist eigentlich Ihr Innenminister? – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Kontrolle über sich selbst!)

Deswegen ist es für uns so bedeutsam und wichtig, dass die Kontrollrechte des Deutschen Bundestages, auch wenn es um Unterstützungsmittel geht, die in Europa über einen ESM oder einen europäischen Währungsfonds eingesetzt werden, stets erhalten bleiben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ja, wir unterstützen das, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben:

(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Was? Das wüsste ich!)

einen Investitionshaushalt für die europäische Gemeinschaft, auch für die Euro-Zone. Wir brauchen ein stärkeres Maß an Investitionen in die Sicherheit, in die Infrastruktur und in die Digitalisierung, aber wir werden auch darauf achten, dass es sich hier nicht um ein Geschäft handelt, das nationale Investitionen einspart und durch europäische Investitionen ersetzt. Wer am Schluss daran glaubt, dass er nationales Geld durch europäisches Geld ersetzen kann, der schafft nicht mehr Investitionen und Innovationen in Europa, sondern der sorgt nur dafür, dass es ein anderer bezahlt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das gilt auch für das Element, das sich in dem Papier von Meseberg wiederfindet, eines Prüfauftrages für eine europäische Arbeitslosenversicherung. Meine Damen und Herren, wir wissen, dass sich Arbeitslosigkeit, Konjunktur, Wachstum in den europäischen Ländern sehr unterschiedlich entwickeln. Deswegen brauchen wir ja diese Investitionen, die wir gemeinsam stemmen wollen; aber wir müssen auch darauf achten, dass es nicht zu einer Fehlentwicklung kommt, die heißt, dass Beitragsgelder deutscher Arbeitnehmer für die Kosten der Arbeitslosigkeit in anderen Ländern Europas eingesetzt werden.

(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Unterstellung! Sie wissen es besser!)

Einer Vergemeinschaftung der Sozialversicherung werden wir nicht zustimmen. Es bleibt dabei: Die Sozialversicherung ist ein nationales Element.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir erleben seit vielen Jahren einen Migrationsdruck an den Außengrenzen der Europäischen Union. Dieser Migrationsdruck, der in Wellenbewegungen stattfindet, der wieder stärker werden kann und vielleicht auch schon wieder stärker wird, kann nur dadurch gesenkt werden, dass wir unsere Außengrenzen schützen. Das ist eine Gemeinschaftsaufgabe für Europa. Das ist eine Gemeinschaftsaufgabe, die parallel neben nationalen Aufgaben, die wir wahrnehmen, stehen muss, um keine Überforderungen im Bereich der Migration zu bekommen. Die aktuelle Situation, die man damit umschreiben kann, dass, wer einmal seinen Fuß auf europäischen Boden setzt, gehen kann in welches Land auch immer er will, ist nicht dauerhaft akzeptabel. Denn in vielen, vielen, in den meisten Fällen – das muss man heute sagen – heißt dieses Land Deutschland.

Meine Damen und Herren, zu dem Hinweis, den ich vielerorts immer wieder gehört habe, wir würden die Mittelmeerländer und die Länder an den Außengrenzen unserer europäischen Gemeinschaft, alleine lassen, sage ich: Das ist schlichtweg falsch. Mehr als die Hälfte aller Migranten, die nach Europa gekommen sind, sind in Deutschland und nicht in den anderen 27 Ländern der Europäischen Union.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Martin Hebner [AfD]: Warum haben Sie das mitgemacht? Warum haben Sie das getan? Regieren Sie doch endlich!)

Deswegen sage ich: Wir haben keinen Nachholbedarf an Humanität innerhalb der Europäischen Union.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe der Abg. Ulli Nissen [SPD] und Dr. Diether Dehm [DIE LINKE])

Wir begrüßen, dass es Fortschritte gibt auf dem Weg zur gemeinsamen Verantwortung in Europa bei der Migrationspolitik. Beim EU-Treffen am vergangenen Sonntag hat sich Bewegung gezeigt, gerade auch beim Thema Schutz der Außengrenzen. Dass Frontex zu einer europäischen Grenzpolizei weiterentwickelt wird, ist eine absolute Schlüsselfrage, die wir ausdrücklich unterstützen. Das Prinzip „Ohne sichere Grenzen nach außen keine offenen Grenzen nach innen“ ist inzwischen weitestgehend Konsens in Europa.

(Zuruf des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE])

Deswegen möchte ich ausdrücklich sagen, dass wir die Bundesregierung bei ihren Bemühungen unterstützen, vor dem Gipfel europäische Vereinbarungen zu treffen, die dafür sorgen, dass wir weniger Migration nach Europa erleben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Beides gehört zusammen: europäische Lösungen und nationale Maßnahmen. Beides gehört zusammen: ein Marshallplan für Afrika, wie ihn Bundesminister Müller vorgestellt hat, und die Anwendung von gültigem Recht an unseren Grenzen. Beides gehört zusammen, wenn wir uns langfristig auch vor Migration, illegaler Migration schützen wollen. Deswegen bleiben wir dabei, dass wir dafür sorgen müssen, neben den Initiativen auf europäischer Ebene jetzt auch die Anwendung des geltenden Rechts an unseren Grenzen umzusetzen. Das heißt auch, dass diejenigen, die in einem anderen Land in Europa ihr Asylverfahren durchführen müssen, an unseren Grenzen zurückzuweisen sind, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das ist nichts anderes als die nationale Umsetzung einer europäischen Lösung.

(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das ist absoluter Bullshit!)

All denjenigen, die davor warnen, dies zu tun, sage ich: Meine Damen und Herren, unsere französischen Kollegen und Präsident Macron, der ja beileibe nicht unter dem Verdacht steht, ein Antieuropäer zu sein, wenden dieses europäische Recht national an, im letzten Jahr mit über 80 000 Zurückweisungen an den französischen Grenzen. Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn wir heute nicht in der Lage wären, diese europäische Lösung national zur Anwendung zu bringen, dann stellten wir doch gerade auch zukünftige europäische Lösungen infrage. Das wollen wir nicht. Wir wollen eine Gemeinsamkeit der europäischen Lösungen und der nationalen Lösungen erreichen. Deswegen wünschen wir der Bundesregierung ausdrücklich viel Erfolg, auch beim Gipfel. Wir begleiten es positiv, europäische Lösungen zu ermöglichen.

(Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ulli Nissen [SPD]: Das glaube ich nicht, Herr Dobrindt! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man hat eher das Gefühl, Sie sind von Angstschweiß getrieben!)

Wir wollen aber auch die Umsetzung der nationalen Lösungen erreichen. Im Lichte der Ergebnisse des europäischen Gipfels werden wir darüber beraten, welche nationalen Maßnahmen umzusetzen sind.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU)