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(Quelle: Deutscher Bundestag | Thomas Köhler)

Seif: „Die Gefahr eines ungeregelten Brexit bleibt“

Detlef Seif über Verhandlungen der EU mit Großbritannien

Ende des Monats beginnt die EU Verhandlungen mit dem Ex-Mitglied Großbritannien über die künftigen Beziehungen. In einem Bundestagsantrag hat die Koalition dazu ihre Position formuliert. Dazu drei Fragen an und drei Antworten von  Detlef Seif.

Herr Seif, nach dem Brexit hat die Phase der Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien über ein neues Abkommen begonnen. Worauf kommt es an? 
 
Detlef Seif: Es kommt ganz wesentlich auf die Geschlossenheit und Entschlossenheit der Mitgliedstaaten und der Institutionen der Europäischen Union an. Die Geschlossenheit der EU-27 während der Austrittsverhandlungen war der Grund für das gute Verhandlungsergebnis. Die Entschlossenheit der EU-27, keine roten Linien zu überschreiten und notfalls nur wenige Punkte oder gar nichts zu regeln, ist aber genauso wichtig. Wir können nämlich davon ausgehen, dass Premierminister Boris Johnson versuchen wird, dem Vereinigten Königreich einen möglichst breiten Zugang zum Binnenmarkt zu erhalten – und dies möglichst ohne Bindung an EU-Standards und ohne Entscheidungsbefugnisse des Europäischen Gerichtshofs. Darauf deuten Äußerungen des Premierministers und seiner Berater hin. Dass sie sich die Rosinen herauspickt, werden wir der britischen Seite nicht durchgehen lassen. 

 

Für die Verhandlungen bleiben weniger als elf Monate Zeit. Welche Art von Abkommen kann dabei herauskommen?

Seif: Es ist wahrscheinlich, dass die wirtschaftlichen Beziehungen in einem Freihandelsabkommen geregelt werden. Hinzu kommt voraussichtlich eine Vereinbarung zur Sicherheitspartnerschaft, insbesondere zur Zusammenarbeit von Polizei, Nachrichtendiensten und Justiz. Letztlich werden viele weitere Bereiche in separaten Vereinbarungen zu regeln sein. Aber in den wenigen Verhandlungsmonaten ist nur ein Basisabkommen realistisch, das die Bereiche erfasst, in denen sonst grobe Verwerfungen drohen. Der Abschluss eines umfassenden Freihandelsabkommens und einer Sicherheitspartnerschaft wird Jahre beanspruchen, so dass nach meiner Einschätzung weitere Verhandlungen nach Ende der Übergangsphase – also ab 2021 - unausweichlich sein werden.

Welche grundsätzlichen Erwartungen haben Sie an die künftige Partnerschaft mit Großbritannien?

Seif: Ich wünsche mir auch zukünftig eine enge und freundschaftliche Partnerschaft zwischen beiden Seiten. Ein großes Risiko für die Verhandlungen liegt aber darin, dass bereits die Entscheidung zum Brexit nicht auf Fakten beruhte, sondern einem ausgeprägten Populismus entsprang. Wenn dieser Geist fortbesteht, sehe ich nach wie vor die große Gefahr eines ungeregelten Brexit nach Ablauf der Übergangsfrist. Im Übrigen bleiben hohe innenpolitische Risiken im Vereinigten Königreich. Der Souveränitätswunsch von Landesteilen sowie der zu erwartende starke Rückgang des Bruttoinlandsprodukts - die britische Regierung prognostizierte Ende 2018 für den Fall eines Freihandelseinkommens selbst einen Rückgang von 3,4 bis 6,4 Prozent - kann zu großen Verwerfungen, zu Arbeitslosigkeit und inneren Unruhen im Land führen. Eine derartige Schwächung des Landes würde sich zwangsläufig auch negativ auf die weiteren Beziehungen zur Europäischen Union auswirken.