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Volker Kauder Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag
(Quelle: Foto Laurence Chaperon)

"Geld in Europa sinnvoll ausgeben"

Volker Kauder im Interview mit der Schwäbischen Zeitung

„Europa wird nicht besser, wenn es ein Schlamperladen ist“, warnt Unionsfraktionschef Volker Kauder. Im Interview erklärt er, wie Deutschland in der EU vorgehen möchte.

Herr Kauder, wie schnell geht es denn jetzt voran mit Europa? Was sagen Sie Herrn Macron?

Eine der drei Überschriften unseres Koalitionsvertrags lautet: Ein neuer Aufbruch für Europa. Europa muss gestärkt werden, weil die Welt sich verändert und Deutschland nie allein die neuen Herausforderungen meistern wird. China und Russland streben nach alter Größe. Daher müssen wir die EU und die Eurozone reformieren. Das haben ja Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zu Recht deutlich gemacht. Als Bundestagsfraktion müssen wir natürlich darauf bestehen, dass der Deutsche Bundestag den Reformen immer dann zustimmen muss, wenn damit Verpflichtungen für den deutschen Haushalt verbunden sind. So ist unsere Rechtslage und da gibt es auch keine Kompromissmöglichkeiten.

EU-Kommissar Oettinger sagt, die Unionsfraktion gefährdet gerade den Aufbruch für Europa.

Wir haben klipp und klar formuliert, dass wir die EU und die Eurozone weiterentwickeln wollen und wir haben ein grundsätzliches Ja zur Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion und zur Bankenunion gesagt. In diesem Reformprozess sollte aber keiner den anderen in Europa überfordern. Es muss einen fairen Interessenausgleich geben. Und es muss eben unsere Rechtslage akzeptiert werden. Meinem Freund Günter Oettinger muss ich auch sagen: Wenn die Kommission trickst, gefährdet sie den Aufbruch Europas – und nicht unsere Bundestagsfraktion. Wir haben eine Bankenunion ausgemacht unter der Voraussetzung, dass zunächst einmal die Risiken in den Banken der Mitgliedsländer messbar und nachhaltig reduziert werden. Die EU-Kommission scheint das nicht so genau nehmen zu wollen. Da können wir nur sagen: So nicht!

Ihre Fraktion hat so viele rote Linien eingezogen, dass der Eindruck entsteht, dass es keine Begeisterung mehr für Europa gibt.

Wir wollen Europa stärken. Das ist im ureigensten nationalen Interesse. Aber alle in Europa müssen ihre Aufgaben erfüllen, damit der ganze Kontinent wettbewerbsfähiger wird. Europa wird nicht besser, wenn es ein Schlamperladen ist. Es muss ein Kontinent der Zukunft werden.

Verstärken solche Forderungen nicht den Eindruck, dass Deutschland die EU regieren will?

Ach was. Wir wollen gemeinsam mit Frankreich die Reformen vorantreiben. Deswegen bin ich für die Initiativen von Macron dankbar. Aber nicht alles, was er vorschlägt, kann eins zu eins umgesetzt werden, es ist auch manches französische Interesse dabei. Es gibt eben auch deutsche Interessen. Dazu gehört, dass wir darauf bestehen werden, dass das Geld in Europa sinnvoll ausgegeben wird, etwa für die Sicherung der Außengrenzen und die Förderung der künstlichen Intelligenz. Wir werden uns mit Frankreich in den nächsten Wochen oder auch Monaten schon einigen. Das Treffen zwischen der Kanzlerin und dem Präsidenten hat das ja auch deutlich gemacht.

SPD-Fraktionschefin Nahles wird am Sonntag SPD-Chefin. Wären Sie auch gerne CDU-Chef?

Wir haben eine sehr gute Parteivorsitzende. Der Kanzler sollte auch immer Parteivorsitzender sein. Dort, wo das nicht so ist, fällt der Laden in der Regel auseinander. Das hat die SPD mehrmals schmerzlich erfahren.

Bei der SPD gibt es jetzt einen Neuanfang, in der Union hat man die Spätzeit Merkel. Hören Sie auch auf, wenn Merkel aufhört?

Ich werde im September wieder als Fraktionsvorsitzender kandidieren und möchte weiter mithelfen, diese Wahlperiode zum Erfolg für unser Land zu machen. Das ist mein Ziel, nicht mehr und nicht weniger.

Die Koalition ist gerade gestartet. Was ist für Sie das wichtigste Vorhaben?

Es wird ein Kraftakt, bis Anfang Juli den Haushalt für 2018 zu beschließen. Aus Sicht der Union ist das Baukindergeld besonders wichtig. Das ist mir ein persönliches Anliegen. Dazu bekommen wir ungeheuer viele Anfragen. Viele Bürger scheiben uns, sie haben ein Bauprojekt und wollen wissen, ob sie schon einen Antrag auf Baukindergeld stellen können.

Was sagen Sie denen?

Ich möchte, dass das Baukindergeld noch in diesem Jahr startet, weil wir junge Familien bei der Bildung von Wohneigentum unterstützen wollen. Eigentum schafft auch Sicherheit.

Im Dezember?

Nein vorher. Ich hoffe, dass ich dies schon bald noch präziser sagen kann.

Der jüngste Angriff auf die Juden in Berlin, die Vorfälle bei der Echoverleihung – macht Ihnen der zunehmende Antisemitismus Sorgen?

Die Entwicklung in unserem Land beunruhigt mich zutiefst. Die Reihe der jüngsten schändlichen antisemitischen Vorfälle wird immer länger. Wir müssen das mit allen rechtsstaatlichen Mitteln versuchen zu stoppen. Schon die Echo-Preisverleihung an diese Rapper war eine unfassbare Fehlentscheidung, die jede historische Sensibilität vermissen ließ. Angesichts des wachsenden Antisemitismus hätte der Preise nie an Künstler gehen dürfen, die mit dem Holocaust in ihren Texten spielen und offensichtlich auch völlig uneinsichtig sind. Es ist gut, dass andere Künstler ihre Echo-Preise als Zeichen des Protests jetzt zurückgeben. Die Gesellschaft darf nicht zulassen, dass antisemitische Aussagen fast schon normal werden.

Man sollte diesen Preis abschaffen. Denn wer ein antisemitisches Klima hinnimmt oder gar fördert, muss sich auch nicht wundern, wenn jüdische Schüler gemobbt werden, wenn jüdische Mitbürger auf unseren Straßen angegriffen werden. Der Staat muss alles tun, dass diese Entwicklung so nicht weitergeht. An den Schulen muss künftig jeder Übergriff konsequent gemeldet werden, damit man einen Überblick über die Dimension des Problems bekommt. Nur wenn man weiß, was an den Schulen wirklich los ist, kann man auch schulübergreifende Maßnahmen ergreifen. Die Schüler, die andere wegen ihrer Religion mobben, und zu den Opfern zählen auch Christen und Muslime, müssen mit den Mittel der Schulordnung diszipliniert werden. Der Staat muss konsequent gegen Angriffe gegen jüdische Bürger auf unseren Straßen vorgehen. Die Täter müssen hier die ganze Härte des Rechts spüren. Sie greifen nicht nur einen Menschen an, sie greifen auch einen Kern unserer Gesellschaft an, unserer gewachsenen Identität nach dem 2. Weltkrieg. Mir ist gleich, ob es um einen eingewanderten Antisemitismus handelt oder um einen, der hier entstanden ist.

Ist Antisemitismus auch ein Zeichen von Verrohung?

Ja. Die Verrohung unserer Gesellschaft hat insgesamt ein Ausmaß angenommen, das beängstigend ist. Besonders schlimm ist die Zuschauermentalität. Als der 15-jährige Passauer in der Unterführung erschlagen wurde, haben manche zugeschaut. Wir müssen wieder klare Grenzen setzen, auch der jungen Generation.

Die Gewalt muss schon im Netz gestoppt werden. Wenn man bei Facebook anonym rumpöbeln kann, muss man sich nicht wundern, dass die Gesellschaft verroht. Darum war es richtig, dass wir das Netzwerkdurchsetzungsgesetz geschaffen haben, um Hass und Beschimpfung im Netz in verfassungsmäßig einwandfreier Weise zurückzudrängen.