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Ralph Brinkhaus
(Quelle: Tobias Koch)

"Die Gesellschaft wieder von der Mitte her denken"

Gesellschaftlicher Zusammenhalt das größte innenpolitsche Thema für 2019

Im Interview mit der Nürnberger Zeitung spricht Fraktionschef Ralph Brinkhaus über die enge Zusammenarbeit zwischen CDU und CSU, die anstehende Europawahl im Mai sowie den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Die Union müsse den Anspruch haben, für alle Menschen in der Gesellschaft da zu sein. Denn für den Zusammenhalt der Gesellschaft sorgen vor allem die Menschen in der Mitte.

NZ: Herr Brinkhaus, in den letzten Jahren ist viel gestritten worden zwischen den führenden Köpfen von CDU und CSU, nun scheint Harmonie das Wichtigste zu sein. Wie viel Streit ums beste Argument darf denn noch sein zwischen den Unionsparteien?

Ralph Brinkhaus: Streit um das beste Argument darf immer sein und muss auch sein. Wichtig ist aber, dass man das, auf das man sich geeinigt hat, gemeinsam nach außen vertritt. Das Jahr hat gut angefangen. Annegret Kramp-Karrenbauer war bei der CSU-Klausur in Seeon, ich in Kloster Banz bei der Landtagsfraktion. Wir beide haben den CSU-Parteitag in München besucht. Wir haben mit Markus Söder und Alexander Dobrindt eine sehr gute Basis für eine enge Zusammenarbeit.

"Geschwister halten zusammen"

NZ: Frau Merkel und Herr Seehofer haben ja nicht über ein unwichtiges Thema – Zuwanderung und die Folgen – gestritten. Wie wird denn eine solche Debatte in Zukunft geführt, wenn sie eben geführt werden muss?

Brinkhaus: Erstmal intern. Annegret Kramp-Karrenbauer hat dafür ein schönes Bild gewählt: Geschwister sind nicht immer einer Meinung, wenn aber die Nachbarskinder kommen, hält man zusammen. Es ist aber im Übrigen auch gar nicht immer so schlecht, dass CDU und CSU an einigen Stellen unterschiedlicher Meinung sind.

NZ: Nehmen wir zum Beispiel die Frage, wer nun das Vorschlagsrecht für die Kanzlerkandidatur hat. Annegret Kramp-Karrenbauer sagt: Ich! Markus Söder sagt: Ich aber auch! Wer hat es denn nun?

Brinkhaus: Das haben CDU und CSU immer einvernehmlich geregelt, ob nun in Berlin oder beim Frühstück in Wolfratshausen. Das wird auch in Zukunft so sein. Wir haben uns ja auch für die Europawahl auf einen gemeinsamen Spitzenkandidaten geeinigt. Auf einen aus der CSU! Und Manfred Weber macht das exzellent.

Die Union als Volkspartei für alle in der Gesellschaft

NZ: CDU und CSU haben noch immer den Anspruch, Volksparteien zu sein. Was muss mit diesem Anspruch verbunden sein?

Brinkhaus: Parteien haben irgendwann angefangen, bestimmte Einzelgruppen zu bedienen. Wir von der Union haben aber den Anspruch, für den Städter in München, aber auch für den ländlichen Raum in Mittelfranken da zu sein. Für alle in der Gesellschaft. Ich habe auch nie die Diskussion verstanden, warum wir mehr nach links oder rechts sollten.

NZ: Hat Volkspartei auch etwas mit Größe und Prozenten bei Wahlen zu tun?

Brinkhaus: Am Ende des Tages schon. Wenn ich das Ziel habe, als Partei für weite Teile der Bevölkerung da zu sein, dann sollte sich das auch an der Wahlurne niederschlagen.

NZ: Ist man mit unter 30 Prozent noch Volkspartei?

Brinkhaus: In vielen anderen Ländern Europas sind knapp unter 30 Prozent ein grandioses Ergebnis. Die Union muss aber immer Ergebnisse in Richtung von 40 Prozent anstreben. Unser Anspruch ist nicht das Ergebnis von 2017 sondern das von 2013. (41,5 Prozent für CDU/CSU, nur CSU in Bayern 49,3; Anm.d.Red)

NZ: Auch die SPD kämpft um ihren Status als Volkspartei. Ist es aus heutiger Sicht wahrscheinlicher, dass die SPD die Große Koalition bis zum nächsten regulären Wahltermin 2021 weiterführt – oder nicht?

Brinkhaus: Der Plan ist, dass die Große Koalition hält und das Land voranbringt. Ich gehe davon aus, dass das auch die SPD so will.

"Kritische Überprüfung ist immer gut."

NZ: Wissenschaftler und Mediziner stellen den Nutzen und die Sinnhaftigkeit der geltenden EU-Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide offen infrage und plädieren für eine kritische Überprüfung. Wird die Unionsfraktion diese Forderung politisch aufnehmen?

Brinkhaus: Diese Grenzwerte sind auf europäischer Ebene beschlossen worden. kritische Überprüfung ist aber immer gut, insbesondere wenn sich weitere Experten einschalten. Wir verfolgen das alles sehr genau. National wollen wir die Spielräume der Behörden erweitern, im Sinne der Verhältnismäßigkeit von Fahrverboten absehen zu können. Wir können national nicht den Grenzwert an sich ändern, aber eine Schwelle definieren, ab der Fahrverbote überhaupt erst als geeignete Maßnahme für bessere Luft in Betracht kommen. Das kann man, weil Fahrverbote als eine besonders einschneidende Maßnahme verhältnismäßig sein müssen. Wir nehmen das Thema sehr, sehr ernst. Mobilität gehört zu den Grundfreiheiten eines Menschen. Aber natürlich ist auch der Gesundheitsschutz wichtig.

NZ: Gibt es das europäische Recht her, dass bei der Gültigkeit von Grenzwerten Toleranzen möglich sind?

Brinkhaus: Wenn wir sagen würden, wir setzen einen EU-Grenzwert national außer Kraft, bekämen wir ein Vertragsverletzungsverfahren. Das hilft uns nicht weiter. Die Frage ist: Was lernen wir daraus? Wir lernen daraus, dass wir uns als Bundestagsfraktion und als Bundestag bei Entscheidungen auf EU-Ebene früher und intensiver einbringen müssen, damit solche Auseinandersetzungen in dieser Schärfe gar nicht erst passieren. Auch bei der Frage der Senkung von Kohlendioxid- Grenzwerten für Lkw laufen wir möglicherweise in eine schwierige Geschichte hinein. Wir müssen auf den Klimawandel reagieren, aber die Maßnahmen, die dagegen beschlossen werden, müssen auch umsetzbar sein.

NZ: Ist es einer Bundestagsfraktion überhaupt möglich, sich früher in EU-Gesetzgebungsprozesse einzuschalten?

Brinkhaus: Wir können der Bundesregierung für Verhandlungen auf europäischer Ebene Leitplanken mit auf den Weg geben. Das sagt Artikel 23 unseres Grundgesetzes. Wir haben weitreichende finanzielle Kontrollmöglichkeiten, die uns das Bundesverfassungsgericht auch bestätigt hat. Wir sind als Bundestag nicht nur für die Gesetzgebung für Deutschland zuständig, sondern auch im europäischen Willensbildungsprozess ein starkes Element. Wir müssen zusehen, dass wir das besser machen.

Ziel: Das europäische Projekt fortführen

NZ: Im Mai steht die Europawahl an. Was ist das Ziel der CDU?

Brinkhaus: Das Ziel für die Union muss ein sehr gutes Ergebnis sein. Wir wollen in Deutschland eine Mehrheit von denjenigen bekommen, die das europäische Projekt fortführen wollen – und nicht von jenen, die dieses europäische Projekt infrage stellen oder gar zerstören wollen.

NZ: Was wäre ein sehr gutes Ergebnis?

Brinkhaus: Wir haben mit Manfred Weber einen deutschen Spitzenkandidaten, und ich hoffe, dass er gerade nicht nur aus Bayern große Unterstützung erhält. Eine konkrete Prozentzahl will ich nicht nennen.

NZ: Bei der letzten EU-Wahl hatte die CSU einen „Sowohl als auch“- Wahlkampf geführt. Nun soll es ein eindeutiger Pro-Europa-Wahlkampf werden. Kann man sich so noch kritisch mit der Entwicklung der EU auseinandersetzen?

Brinkhaus: Man muss die Dinge schon klar benennen. Was mich zum Beispiel stört, ist, dass Europa in den letzten Jahren immer nur eine Sache der Finanzminister war. Europa ist verengt worden auf Rettungsfonds und Verteilungsmechanismen. Ich würde mich freuen, wenn wir im Europawahlkampf mehr darüber sprechen, dass wir eine gemeinsame Außen- und Sicherheitsarchitektur brauchen. Es ist zum Beispiel völlig widersinnig, dass jede Armee ihre eigenen Rüstungsprojekte hat. Wir sollten zudem überlegen, Teile unserer Armeen zusammenführen. Wir sollten auch darüber reden, dass wir nicht nur ein Bundeskriminalamt, sondern auch ein europäisches Kriminalamt brauchen, um Terror, grenzübergreifende Kriminalität und Clan-Kriminalität zu bekämpfen. Außerdem haben wir gegenwärtig einen sehr robusten, aggressiven Wettbewerber auf den Weltmärkten: Das ist China. 1,3 Milliarden Menschen und Geld ohne Ende. China kauft sich auch in Deutschland aktiv in die Technologieunternehmen ein. Da müssen wir dagegenhalten. Machen wir das als 80 Millionen Deutsche alleine oder ist es besser, wenn 500 Millionen Menschen und einer der stärksten Wirtschaftsräume der Welt dahinterstehen? Von dem Friedensprojekt Europa gar nicht erst zu reden.

Außengrenzen konsequent schützen

NZ: Wie kann die EU dem Migrationsdruck von außerhalb begegnen?

Brinkhaus: Wir müssen die Außengrenzen konsequent schützen. Wir müssen uns einig werden, wie wir Menschen, die sich unberechtigt in der EU aufhalten, wieder zurückführen. Und wir müssen in den Herkunftsländern bessere wirtschaftliche Perspektiven für die Menschen schaffen. Der nächste Hotspot wird nicht Syrien sein oder Afghanistan, sondern Afrika.

NZ: Manfred Weber will, wenn er EU-Kommissionspräsident wird, die Beitrittsgespräche mit der Türkei endgültig beenden. Ist das klug?

Brinkhaus: Man muss irgendwann einmal eine Bilanz ziehen, sich in die Augen schauen und sagen: Macht das noch Sinn? Wenn sich nicht substanziell etwas ändert, dann machen weitere Beitrittsgespräche keinen Sinn.

NZ: Verträgt die EU, unabhängig von der Türkei, überhaupt noch weitere Mitgliedstaaten?

Brinkhaus: Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht überdehnen. Wir müssen auch aufpassen, dass die Anforderungen, die an mögliche Beitrittskandidaten gestellt werden, sauber erfüllt werden. Bei Rumänien und Bulgarien sind wir sehr schnell gesprungen, und die Probleme haben wir jetzt.

"Für den Zusammenhalt der Gesellschaft sorgen vor allem die Menschen in der Mitte"

NZ: Was ist für Sie das größte innenpolitische Thema für 2019?

Brinkhaus: Ganz eindeutig der Zusammenhalt der Gesellschaft. Wir müssen die Gesellschaft wieder von der Mitte her denken. In den letzten Jahren haben wir sehr viel über Randgruppen und Minderheiten gesprochen. Das ist auch wichtig, weil sich der Charakter einer Gesellschaft daran bemisst, wie sie mit Randgruppen und Minderheiten umgeht. Aber für den Zusammenhalt der Gesellschaft sorgen vor allem die Menschen in der Mitte. Das sind die Leute, die morgens aufstehen, ihre Kinder zur Schule bringen, in die Arbeit gehen und sich abends ehrenamtlich engagieren. Die haben ganz konkrete Sorgen. Auch in Nürnberg ist Wohnen für Familien teurer geworden. Wir, auch die CSU, sind von der Opposition sehr für das Baukindergeld verprügelt worden...

NZ: ...das in einem ohnehin von steigenden Preisen dominierten Markt in den Mauern eines Hauses quasi verschwindet.

Brinkhaus: Wenn ich sage, ich will gezielt die Mitte der Gesellschaft fördern, was entspricht mehr diesem Gedanken, als Familien mit Kindern und mittleren Einkommen beim Erwerb von Haus und Wohnung zu unterstützen? Das Baukindergeld bedeutet nicht nur Geld, sondern ist auch Wertschätzung. Es soll zeigen: Wir sehen euch! Von der Summe her hilft es in ländlichen Regionen natürlich mehr als in den Städten. In Nürnberg kann man mit dem Baukindergeld vielleicht zwei tragende Wände finanzieren – aber auch die sind für ein Haus wichtig.

NZ: Sie sind gelernter Steuerberater. In der Koalition ist man sich uneinig, wie stark und schnell der Solidaritätszuschlag abgebaut werden soll. Für was plädieren Sie?

Brinkhaus: Die Steuerdiskussion sollte sich nicht nur auf den Solidaritätszuschlag begrenzen. Für die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes ist anderes wichtiger. Wir brauchen zum Beispiel ein international wettbewerbsfähiges Unternehmensteuerrecht, das weniger komplex ist. Sebastian Brehm arbeitet hier an entscheidender Stelle mit. Was den Solidaritätszuschlag angeht, so hat die CDU auf ihrem Bundesparteitag beschlossen, diesen 30 Jahre nach dem Mauerfall komplett abzubauen. Wir haben aber einen Koalitionsvertrag, der das so nicht vorsieht. Also müssen wir mit der SPD darüber sprechen.

Das komplette Interview ist am 26. Januar 2019 in der Printausgabe der Nürnberger Zeitung erschienen.