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Volker Kauder Vorsitzender von CDU und CSU im Deutschen Bundestag
(Quelle: Laurence Chaperon)

AfD radikalisiert Umgangston im Bundestag

Kauder: Parteien der Mitte sollten diese Spirale nicht mitmachen

Volker Kauder, Unionsfraktionsvorsitzender, geht mit der AfD hart ins Gericht. Zugleich fordert er die Kirchen zum raschen Aufarbeiten des Missbrauchsskandals auf - und macht konkrete Vorschläge in einem Interview mit der KNA.

KNA: Herr Kauder, die Spaltung in der Gesellschaft spiegelt sich inzwischen auch deutlich im Bundestag. Macht Ihnen der raue Umgangston Sorgen?

Volker Kauder: Die AfD hat auch im Deutschen Bundestag den Ton mit Aussagen immer weiter verschärft, wie wir sie sonst nur von Rechtsradikalen her kennen. Diesen Reden muss deutlich widersprochen werden. Allerdings dürfen die Antworten selbst nicht persönlich herabwürdigend sein. Das haben leider Redner der anderen Fraktionen in der Generaldebatte am vergangenen Mittwoch nicht immer beachtet. Die Parteien in der Mitte des Parlaments sollten die Spirale bei der sprachlichen Radikalisierung nicht mitmachen. Das nützt nur den Radikalen.

KNA: Einige AfD-Wähler sagen, ihre Partei vertrete gesellschaftspolitische Überzeugungen wie früher die CDU - etwa beim Familienbild, der Homo-Ehe oder in der Abtreibungsfrage...

Kauder: Unsere Grundlage ist das christliche Menschenbild. Die Kernaussage ist, dass jeder Mensch ein Ebenbild Gottes ist. Die Politik der AfD steht im eklatanten Widerspruch dazu. Die AfD grenzt Menschen aus, macht sie verächtlich, sieht in Flüchtlingen pauschal Menschen zweiter Klasse. Die übrige Rhetorik der AfD ist deshalb völlig unglaubwürdig. Außerdem widerspricht ihr nationalistischer Ansatz christlichen Werten.

KNA: Inwiefern?

Kauder: Der christliche Glaube kennt keine Staatsgrenzen und hat
keinen völkischen Charakter. Der christliche Glaube ist weltoffen,
verbindet die Menschen und macht die Menschen zu Schwestern und Brüdern im Glauben. Die AfD macht hingegen einzig das deutsche Volk zum Bezugspunkt ihres Denkens. Auch das erinnert an die dunkelsten Kapitel unserer Geschichte.

KNA: Welche Rolle spielen die Kirchen für den Zusammenhalt der
Gesellschaft?

Kauder: Die Kirchen sollten in diesen schwierigen Zeiten Orientierung bieten. Umso tragischer ist nun der Bericht über die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche. Die Wirkung ist verheerend. Auch als evangelischer Christ wie ich, der aber immer auch in der katholischen Kirche eine Heimat im Glauben gefunden hat, ist man bestürzt, dass so etwas passieren konnte.

KNA: Was sollte geschehen?

Kauder: Um verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen, sollte sich die Kirche für dieses Fehlverhalten ihrer Würdenträger
entschuldigen, die Opfer entschädigen, wo immer es noch geht, und vor allem alles tun, damit so etwas nicht wieder geschehen kann. Der katholischen Kirche steht ein langer Weg der Wiedergutmachung und des Aufbaus neuen Vertrauens bevor. Sie wird diese Herausforderung aber bestehen. Unabhängig davon wird mein persönlicher Glaube an Jesus Christus nicht erschüttert. Wir müssen trennen zwischen der Glaubensbotschaft, die die Kirche verkündet, und dem Fehlverhalten.

KNA: Die CDU will ihr Profil wieder schärfen, dazu gehört das «C».
Was bedeutet das für die Fraktion?

Kauder: Das «C» ist unser Kompass. Wir müssen uns aber immer wieder vergewissern, was uns das „C“ heute sagt. Deshalb werden wir uns in der Fraktion in dieser Wahlperiode erneut in einer Reihe von Kongressen mit dem „C“ beschäftigen und damit auch einen Beitrag zur Debatte um das neue Grundsatzprogramm leisten. Was das „C“ uns bedeutet, wurde etwa bei der Sterbehilfedebatte und der anschließenden rechtlichen Regelung deutlich, mit der die
kommerzielle Sterbehilfe verboten wurde.

KNA: Ein Punkt, an dem sich das «C» reibt, ist die
Flüchtlingspolitik. Sie hat die Fraktion beinahe gesprengt.

Kauder: Die Zuwanderung bleibt eine Herausforderung. Klar ist: Wer verfolgt wird oder vor Bürgerkrieg flieht, muss grundsätzlich
Aufnahme finden. Wer aber nur bessere wirtschaftliche Perspektiven sucht, der kann nicht bei uns bleiben.

KNA: Dennoch bleibt eine Verantwortung der reichen Industrienationen.

Kauder: Wir müssen noch mehr für die Menschen in ihrer Heimat tun. Für mich ist zudem unfassbar, dass Menschen in Flüchtlingslagern etwa in Jordanien nicht ausreichend versorgt werden. Das UN-Flüchtlingshilfswerk braucht genügend Geld, damit die Menschen nicht aus Angst vor Hunger fliehen oder weil ihre Kinder nicht unterrichtet werden. Viele Länder zahlen aber ihre Beiträge nicht.

KNA: Eine weitere Herausforderung ist die Integration der Muslime.
Ist der Islam integraler Teil der Gesellschaft?

Kauder: Die Integration der überwiegenden Zahl der Muslime ist
gelungen, weil diese sich angestrengt haben, ein Teil der
Gesellschaft zu werden. Bei einer größeren Minderheit gibt es aber
Defizite. Bei einigen Muslimen vermisse ich die Bereitschaft,
staatliche Regeln einzuhalten, wozu auch die Toleranz gegenüber
anderen Religionen gehört. Allerdings muss auch die
Mehrheitsgesellschaft gegenüber den Muslimen weiter offenbleiben.

KNA: Ist das Gesellschaftsverständnis des konservativen Islam mit der Demokratie vereinbar?

Kauder: Bei uns herrscht Religionsfreiheit. Der Wahrheitsanspruch der einzelnen Religion kann aber in einem demokratischen Staat nicht über die staatlichen Regeln gestellt werden. Das gilt auch für den Islam, gleich welcher Ausrichtung, aber auch für jede andere Religion.

KNA: Muss dies noch klarer vermittelt werden?

Kauder: Viele Muslime kommen aus Ländern wie etwa der Türkei, in denen Religionsfreiheit faktisch nicht existiert und es deshalb oft
auch keinen Respekt vor den anderen Religionen gibt. Das Grundrecht auf Religionsfreiheit gehört aber zur europäischen Werteordnung. Deshalb sage ich über die Türkei: Wenn die Türkei die Religionsfreiheit nicht akzeptiert, kann sie kein Bestandteil Europas sein.

KNA: Sie setzen sich für verfolgte Christen ein. Wie ist deren Lage
im Nahen Osten?

Kauder: Viele Christen sehen im Irak oder Syrien überhaupt keine
Lebensperspektive mehr - insbesondere nicht für ihre Kinder. Dennoch bleibe ich dabei: Wir müssen für die Religionsfreiheit weiter kämpfen. Wir müssen helfen, die Reste des christlichen Lebens in dieser Region zu erhalten.

KNA: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat bei der
Organspende die Widerspruchlösung vorgeschlagen. Wie stehen Sie dazu?

Kauder: Ich war bei der vergangenen Reform für die Zustimmungslösung. Sie hat leider nicht das erwünschte Ergebnis gebracht. Im Gegenteil. Wir haben zu wenig Organspender. Ich warte die Debatte ab. Die Frage ist sehr komplex: Was darf der Staat vom Einzelnen verlangen?

KNA: Abgeordnete fast aller Fraktionen fordern eine Befassung des
Bundestags mit der wachsenden Zahl vorgeburtlicher Bluttests etwa zur Erkennung des Down-Sydroms. Wird die Union dem entsprechen?

Kauder: Die Entwicklung vorgeburtlicher Testverfahren in der
Schwangerschaft wirft in der Tat grundlegende Fragen zu unserer
Werteordnung auf. Deshalb streben wir hierzu noch in diesem Jahr eine Orientierungsdebatte an, ebenso zur Organspende.